Der einsame Tod und das Leben

RAURISER LITERATURTAGE/ LESUNG FLAšAR

11/04/24 Wie muss ein Mensch gelebt haben, dass seinen Tod niemand bemerkt? Das fragt die Schriftstellerin Milena Michiko Flašar mit ihrem Roman Oben Erde, unten Himmel. Sie beginnt ihre Geschichte dort, wo die meisten aufhören – beim Aufräumen, nachdem eine Leiche, die wochen- oder monatelang unentdeckt geblieben war, entfernt worden war.

Von Noemi Zwettler

Saxophon und Percussion eröffnen die Lesung. Künstliche Gräser und große Zwiebelblüten am Stiel weben auf Tschinellen seltsam schöne Klänge mit dem Rohrblatt... Kodòkushi. Der einsame Tod. Milena Michiko Flašar spricht mit ruhiger Stimme von Leichenflüssigkeiten, entspannt und mitfühlend. Von Gerüchen, von dem, was übrigbleibt und davon, wer aufräumt, wenn jemand einsam gestorben ist und lange nicht gefunden wurde.

Milena Flašar interessiert vor allem: Wie muss jemand gelebt haben, um einsam zu sterben? In Japan gibt es sogar ein eigenes Wort dafür, aber dieses Phänomen ist, einhergehend mit zunehmender Vereinsamung, auch bei uns verbreitet.

Menschsein bedeute auch, „sich um jemanden zu kümmern“, so die Autorin. Doch Beziehungen sind kompliziert. „Menschen sind so unvorhersehbar, wir wissen nicht, was in ihnen drinnen steckt. Wir sind wie so Inseln, viele haben es aufgegeben, sich verständlich zu machen.“

Suzu, die Protagonistin in Flašars Roman, bezeichnet sich selbst als alleinstehend mit Hamster. Sie ist noch jung, sie hat keinerlei Beziehungen, ihre Eltern hat sie seit zwei Jahren nicht gesehen. Sie sei gerne allein, sagt sie. Aber ist es wirklich so? Als Reinigungskraft von Leichenfundorten mit all den einsamen Toden konfrontiert und ihrem Chef, Herrn Sakai, der keine Widerrede duldet, wenn es um gemeinsame Unternehmungen geht, beginnt sich ihr Leben zu verändern.

Als Motto des Buches, diente ein Text von Miyazawa Kenji, den in Japan jeder kennt „Ame ni mo makezu“. Ein Text der während Corona vielen Japaner:innen Halt gegeben hat. Ein Satz daraus ist dem Buch vorangestellt: „Wenn im Süden ein sterbender Mensch ist, hingehen und sagen, er braucht keine Angst zu haben.“ Es gehe darum füreinander da zu sein, die Komfortzone zu verlassen und sich um andere zu kümmern. Der Rest ergibt sich.
Nach der Lesung möchte ich mein Buch signieren lassen. Ich schlage es vor Milena Michiko Flašar auf, es liegen zwei gelbe Blüten darin auf dem dunkelgrünen Blatt ganz zu Beginn. Ich habe sie erst heute hineingelegt zum Trocknen. Sie bemerkt sie entzückt. Sie sähen aus wie die Blumen auf dem Umschlag, sagt sie. Ich möchte ihr eine davon schenken, sie nimmt sie gerne und legt die Blüte in ihr Vorleseexemplar. Ich stelle mir vor, wie sie das Buch bei der nächsten Lesung aufschlägt und sich erinnert. Ich jedenfalls werde mich erinnern.

Bilder: RLT / David Sailer (2); dpk-zwettler
Die Rauriser Literaturtage sind am Sonntag (7.4.) zu Ende gegangen. Einzelne Veranstaltungen sind weiterhin über die Website abrufbar. Alle Lesungen und Gespräche werden in den kommenden Wochen von FS1 Community TV Salzburg ausgestrahlt – www.rauriser-literaturtage.at
Für DrehPunktKultur berichteten  Studentinnen und Studenten von Uta Degner im Rahmen der Lehrveranstaltung „Literaturbetrieb und literarisches Leben in Österreich (Rauriser Literaturtage 2024)“ am Fachbereich Germanistik von den Rauriser Literaturtagen