Fernseher aus. Leiden aus?

LESUNG / AREF HAMZA

30/04/19 Wie viele Bücher braucht es, um die Qual der Einsamkeit auszudrücken? Oder die Unerträglichkeit des Krieges? Der syrisch-kurdische Dichter Aref Hamza versteht sich wie kaum ein anderer darauf, in lyrischer Form Worte zu finden, um das Unsägliche zu beschreiben.

Von Clemens Kainz

Auf Einladung des Literaturvereins prolit zu Gast in der Galerie Untersberger-Kerschbaumer faszinierte Aref Hamza mit seinen Gedichten über Flucht und Exil, Krieg und Einsamkeit, den Verlust der Sprache und die Notwendigkeit, sich im Unvertrauten neu einzurichten. Geleitet wurde die Veranstaltung am

Montag (29.4.) von Petra Nagenkögel vom Literaturverein prolit, die auch die deutsche Übersetzung der Gedichte las. In den Gesprächen zwischendurch übernahm der Autor Jad Turjman die Rolle des Übersetzers für Hamza. Bereits zu Beginn der Lesung entpuppte sich der Titel des zweisprachigen Gedichtbandes Du bist nicht allein als ironischer Kontrapunkt zu den Texten, in deren Mittelpunkt existenzielle Einsamkeit steht. Die Lyrik dieses Bandes entstand in Syrien während des Kriegs, auf der Flucht in die Türkei und in Deutschland, wo Hamza sein Exil fand.

Hamza verbindet in seinen Texten häufig Konkretes mit Metaphorischem. Exemplarisch dafür ist das Gedicht Schildkröte, in dem ein auf dem Rücken liegender Panzer den Erzähler beleidigt anblickt und zu weinen anfängt. Auch zeichnet Hamza anhand einzelner Alltagsszenen Konturen des großen Ganzen, das anders nicht fassbar wäre. So offenbart sich etwa in dem schlicht gehaltenen Poem Leere Busse in wenigen Zeilen die Brutalisierung eines ganzes Landes.
In klarer Sprache hält er uns extreme Nahaufnahmen vors Auge und erzeugt mit minimalen Gesten ein vielschichtiges Bild, dessen emotionale Kraft berührt, schockiert, überrascht und amüsiert. Die verwendeten Stilmittel sind humoristischer Natur. In Reinform, ohne den beißenden Sarkasmus, die pointierte Ironie oder die surreale Groteske in seinen Texten, wären diese wohl kaum zu ertragen. Dabei gelingt Hamza die Gratwanderung, Bitterkeit und Verzweiflung anklingen zu lassen, ohne ins Zynische abzugleiten oder anklagend den Zeigefinger zu erheben. Ein zentrales Thema, das sich durch verschiedene seiner Texte zieht, ist das Leben, welches - personifiziert - mal mehr, mal weniger lebt, gesucht oder gefunden wird, weggeschlossen wird, bereits tot ist, aber in irgendeiner Form immer gegenwärtig, nicht zu leugnen und keinesfalls zu vergessen.

Im Gespräch verweist Hamza auf die Menschlichkeit. Er sei der Ansicht, je mehr technologischen Fortschritt wir erreichen, desto mehr schwinde unsere Menschlichkeit. Schreiben sei Schreiben und biete keine Heilmethoden, aber es werde dadurch Raum geschaffen, um über das Geschriebene nachzudenken. „Viele Menschen irren, wenn sie glauben, dass die Tragödien nur im Fernseher stattfinden. Und wenn sie den Fernseher ausmachen, glauben sie, die Tragödie sei vorbei. Ist das Leiden beendet, wenn man den Fernseher ausmacht?“

Während der gesamten Lesung war sich die Poesie von Aref Hamza der gebannten Aufmerksamkeit der Zuhörer sicher, der tosende Applaus am Ende sprach für sich. Im arabischsprachigen Raum gilt Aref Hamza als eine der bedeutendsten Stimmen seiner Generation. Er hat in Aleppo Rechtswissenschaften studiert und arbeitete als Menschenrechtsanwalt. Er veröffentlichte mehrere Gedichtbände und erhielt 2004 den Mohammed-al-Maghout-Preis für Lyrik. Heute lebt er mit seiner Familie in Buchholz in der Nordheide.

Bild: Literaturhaus / Mathias Bothor