Von B'sondermännern und Jedermannen

LESEPROBE / ANDRES MÜRY / JEDERMANN DARF NICHT STERBEN

16/07/14 Die Juden hatten ausgespielt, die Zechen der Zeit standen auf „Naturbursch voll strotzender Lebensfreude“: Eine Leseprobe aus dem neu bearbeiteten, bei Pustet erschienenen Buch „Jedermann darf nicht sterben“ von Andres Müry. Eine Facette auf den Beginn jener dunklen Ära, als die Nationalsozialisten die Festspiele eisernen im Griff hatten.

Von Andres Müry

Nach dem Sommer 1934 beordert Göring den Jedermann-Darsteller Paul Hartmann vom Domplatz ab; er ist inzwischen Mitglied von Görings preußischen Staatstheatern. Sein Nachfolger wird 1935 ein aufstrebender Österreicher, den Max Reinhardt früher schon gefördert hat: Attila Hörbiger. Die Rezensionen sind enthusiastisch: Ein „Naturbursch voll strotzender Lebensfreude“ stehe jetzt auf dem Domplatz, der „Prototyp des holzschnitthaft-knorrigen mittelalterlichen Durchschnittsmenschen“. Moissi gilt plötzlich nur noch als „dekadent-morbider Einzelfall“. Erstaunlicherweise kommt selbst für Max Reinhardt der Jedermann in Hörbiger erst so richtig zu sich selbst. So jedenfalls deutet man gerne das vom Darsteller überlieferte Bonmot: „Wissen Sie, Hörbiger, der Moissi war der B’sondermann, aber Sie sind der Jedermann“.

Die abgründige Pointe dabei: der ultimative Jedermann Hörbiger ist damals Mitglied der illegalen österreichischen Nazipartei. In Salzburg posiert er für Fotos in Lederhosen und weißen Kniestrümpfen – dem Erkennungszeichen der Illegalen. Zudem hat Hörbiger 1933 in Berlin an dem von Reinhardt gerade verlassenen Deutschen Theater einen Wilhelm Tell gespielt, der als „SA-Tell“ gefeiert wurde; beim Rütlischwur kam es bei der Premiere in Anwesenheit Hitlers zu einer Spontanehrung: Statt der Schwurhand schnellte beim gesamten Ensemble die Hand zum Hitlergruß hoch. Reinhardt weiß dies alles und liebt Hörbiger als Schauspieler gleichwohl. Und Hörbiger wiederum hört nicht auf, Reinhardt in Interviews in höchsten Tönen zu loben.

Reinhardt kann sich sogar vorstellen, Hörbiger zu einem Jedermann-Gastspiel zur Pariser Weltausstellung 1937 mitzunehmen. Er plant es ahnungsvoll als europäische Abschiedsvorstellung, als Zeugnis für das „Wunder, das in achtzehn Jahren Salzburg gewachsen ist“. Das Scheitern des Plans veranlasst Reinhardt, in einem Brief selbstkritisch eine Jedermann-Bilanz zu ziehen. Das Zusammenspiel der fünf Hauptrollen lässt er gelten. Aber im Ganzen erkennt er sich nicht mehr. „Mit derselben absoluten Sicherheit weiß ich, von dem in der ursprünglichen Konzeption jeder Ton, jede Geste, jede innere und äußere Bewegung und alle Gruppenbildungen stammen, dass sich die Präzision fast unerträglich verwischt und dass sie den strengen einfachen Stilreiz (einen originalen Hauptwert der Aufführung) eingebüßt hat.“

Im November 1937 verlässt Reinhardt den Kontinent. Es wird eine Reise in die Enttäuschung. Die Begeisterung der Amerikaner für The Reinhardt Machine hat sich durch die Wirtschaftskrise abgekühlt, keiner der großartigen Film- und Theaterpläne wird Realität. Reinhardt gründet 1938 in Hollywood einen Workshop for Stage, Screen and Radio, mit dem er in modernen Kostümen einen Everyman in a new Version herausbringt; eine Spirituals-Fassung mit Schwarzen in New Orleans kommt nicht über Gespräche hinaus. Schließlich zieht Reinhardt resigniert nach New York. Dort stirbt er am 31. Oktober 1943 an einem Schlaganfall.

Die Festspiele 1938 finden bereits in einem stramm nationalsozialistischen Salzburg statt. Österreich heißt nun „Ostmark“ und ist in fünf „Gaue“ unterteilt. Bei der Volksbefragung am 10. April haben 185 058 Salzburger für, 437 gegen den „Anschluss“ votiert; besonders unrühmlich tut man sich durch die einzige Bücherverbrennung Österreichs hervor; ihr Organisator ist der Salzburger Lehrer Karl Springenschmid. Schloss Leopoldskron wird „arisiert“ und dient fortan als Gästehaus für prominente Künstler des Reichs, als „Entree“ für Hitlers Berghof auf dem Obersalzberg.

Die Festspiele stehen jetzt unter der Regie der Gauleitung; Baron Puthon, der Präsident, kann mit eingeschränkter Befugnis weitermachen. Landeshauptmann Rehrl, Reinhardts Vertrauter, ist verhaftet. Das Festival soll seiner „jüdisch-kosmopolitischen Fratze“ entkleidet und in seinem „Kern deutscher Kunstgestaltung“ sichtbar werden. Die Büsten von Hofmannsthal und Reinhardt verschwinden aus dem Festspielhaus, die von Reinhardt angekündigten Reprisen von Jedermann und Faust sagt man ab.

Für den Domplatz heckt man in Goebbels’ Berliner Propagandaministerium einen rachsüchtigen antiklerikalen Plan aus: Dort soll anstelle des Jedermann Kleists Amphitryon in Szene gehen, die Ehebruchkomödie im mythologischen Gewand. Die Begründung ist bestechend: Kleist habe die frivole Vorlage Molières durch „deutsche Tiefe“ geadelt, es sei nun ein „Hohelied auf die Tugend der deutschen Frau“. Ein Nazifunktionär, der auf Ausgleich mit dem Erzbischof bedacht ist, biegt den Plan ab.

Für 1939 wird vor dem Dom ein Stück von Karl Springenschmid angekündigt: das Lamprechtshausener Weihespiel. Es glorifiziert den Kampf der österreichischen Nazis vom gescheiterten Juliputsch 1934 über die Zeit der Illegalität bis zum „Anschluss“. Doch das Spiel vom Sterben des kleinen Mannes, wie es im Untertitel heißt, kommt nie über Aufführungen auf dem Land hinaus. Der Domplatz bleibt unter Hitler unbespielt: Der Mythos Jedermann hält die Stellung.

Andres Müry: Jedermann darf nicht sterben – Geschichte eines Salzburger Kults. 224 Seiten, Verlag Anton Pustet, Salzburg 2014, € 24.- – www.pustet.at

Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Anton Pustet

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