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Live von der Musik-Müllhalde

LESEPROBE / NEIDHART, PLATZGUMER / MUSIK IST MÜLL

18/12/12 „Oft wird er nicht einmal ausgepackt vor dem Wegwerfen, sondern ungehört von vornherein als lästiger Müll deklariert.“ Krass beschreiben Didi Neidhart und Hans Platzgumer das Schicksals eines zeittypischen Pop-Songs, heruntergesaugt aus einer „Wolke aus Müll“, hineingeboren in eine musikalische Wegwerfgesellschaft. – Eine Leseprobe aus dem Essayband „Musik ist Müll. Die Abgründe der Popmusik“. Didi Neidhart und Hans Platzgumer sind ausübende Musiker und wissen (leider), wovon sie schreiben.

Von Didi Neidhart und Hans Platzgumer

Heute wird Musik zu Müll nachdem sie keine Minute lang gehört wurde. Sie ist ein Gebrauchsobjekt, das sofort verbraucht ist. Ein Song, der weggeworfen wird wie die anderen Milliarden Songs auch, die am gleichen Tag im Netz veröffentlicht werden wie er. Mit der Demokratisierung der Mittel ist er in eine Müllwelt geboren worden als Teil eines Müllbergs. Oft wird er nicht einmal ausgepackt vor dem Wegwerfen, sondern ungehört von vornherein als lästiger Müll deklariert.

Wann kollabiert er endlich, unser weltumspannender Datenverkehr? Allein auf Facebook werden täglich 250 Millionen Fotos hochgeladen. Quadrilliarden neuer Mp3s und Jpgs, alles gratis und umsonst, finanziert über die zu Werbeprofilen generierten persönlichen Daten der Community. Eine Wolke aus Müll.

Kein Lied, egal wie gut es sein möge, scheint heute seine 99 Cent mehr wert. Kaum ein Song rechtfertigt beim Endverbraucher den Speicherplatz auf der Festplatte, den er unkomprimiert in Anspruch nehmen würde. Wer gönnt einem Lied heute noch den Datenraum, den es in seiner vollen WAV Auflösung benötigen würde? Mp3s sind zehmal kleiner, zehnmal weniger lästig, und nur die mickrigste Mp3-Auflösung oder eben ein Stream-Leben in der Wolke wird der Musik zugestanden, so dass sie als der Müll, als der sie gesehen wird, möglichst wenig Platz auf dem Rechner verschwendet.

Was habe ich mich über Lossless Files gefreut, die vor einigen Jahren aufkamen und in verhältnismäßig kleinen Datenmengen gute Audioqualität liefern. Leider setzten sie sich nicht durch, weil sich die ganze Welt lieber auf den kleinsten Nenner verständigt. Ein paar Megabyte Platzgewinn auf der Festplatte ist mehr wert als die Musik an sich. Und so kommt jeder Song heute sofort als Müll verkleidet zu seinem Verbraucher und steht dort angekommen sogleich am Rand es Müllplatzes. Nur ganz wenige Stücke schaffen es, über dieses Müllstadium hinauszukommen. Und von Jahr zu Jahr werden es weniger, während andererseits die Zahl der produzierten Songs von Jahr zu Jahr exponential ansteigt. Gab es früher unter tausend schlechten Songs einen guten, so gibt es heute unter 100.000 Songs einen guten. Und Filtermaschinen wurden abgeschafft.

Vor gut drei Jahrzehnten gab es sie noch.

Punk war die Müllabfuhr, die Rettung, der Restart-Button. Endlich räumte jemand radikal auf, so unfair er auch agierte. Punk ging über Leichen und war stolz darauf. No Past und No Future forderte er, lebte er. Alles wurde als reaktionär eingestuft. Melodien: pfui. Rhythmus: pfui. Akkorde, Songwriting: weg damit. In einer lokalen Punkband meiner Heimatstadt, einer herrlichen Chaostruppe namens „Assozialer Gehirnaustritt“, bekam der Schlagzeuger seinen Job nur weil er den höchsten Dünn-Iro der Stadt hatte. Beim Konzert saß er das erste Mal hinter dem Drumkit und hämmerte mit Sticks, von denen er nicht wusste, wie sie gehalten werden, besoffen auf die Trommeln ein. Wir alle waren begeistert. Endlich eine Müllabfuhr. Wie dringend hätten wir sie heute nötig! Dieses ganze Buch wäre nicht geschrieben, wenn Punk sich erhalten oder wiederholen ließe. Wenn heute jemand ähnlich rabiat einen Schlussstrich unter die Popgeschichte setzen und alles vorhergehende als Hippie- und Spießerscheiße deklarieren würde. Alle CDs verbrennen, Audiofiles löschen, Online-Streams stoppen. Alles auf den Müll und wieder ganz von vorne anfangen mit nichts außer dilletantischer Überzeugung.

Stattdessen tappt die Musikwelt von einem Revival ins nächste und erhebt jeden Müll von gestern zum Kult. Von radikalen Lösungen für unser Müllproblem sind wir heute weit entfernt.

Im Gegenteil: Müll muss nur lange genug vor sich hinschimmeln, dann wird er auch irgendwann hochgeschimmelt und steht im Museum oder als Kanon herum. Während bei Pop (wie bei Fußball) per definitionem alle als selbsternannte, ungefragte, halbgebildete Experten mitreden dürfen, hält sich die "Hochkultur" lieber eine akademisch geprüfte Elite. Die Meister bleiben unter sich und gönnen sich Pop in Form von Hofnarren und affigen Experimenten. Und Pop macht daraus, was Pop schon immer mit allem gemacht hat: Eine Kopie. Endlich auch elitär! Endlich von der Single zum Konzept-Album! Endlich Supertramp, Sting oder Orignal-Pink-Floyds samt Symphonieorchester in der Oper. Endlich Anerkennung von ganz oben, von Eltern, Lehrkräften, vom bürgerlichen Feuilleton und von Musikern, die ihr Instrument wirklich gelernt haben. So blöd es nun wäre, Pop gegen Klassik auszuspielen, so blöd wäre es Pop wie Klassik hören zu wollen, denn bei derartiger Symbiose trifft sich immer das denkbar Schlechteste aus beiden Welten und produziert gigantischen Müll wie Classic-Rock oder Rock meets Classic. Zudem ist das Gleichgewicht nie ausgewogen. Wo die Anzahl der Noten wichtiger ist als die Musik, verschwindet Pop und kommt als Müll wieder. Das ist bei Pop meets Jazz nicht anders. Da werden wo immer möglich neue Noten hinzugefügt (das Jazzmissverständnis) oder alte auf neu gemacht (das Popmissverständnis). Nicht umsonst wussten schon die, wenn nicht Pop so doch zumindest den Schlager der 20er und 30er Jahre vorbereitenden Operettenkomponisten, dass operngeschulte Sänger eine Operette nicht singen können.

Didi Neidhart, geboren 1963, ist Chefredakteur von "skug - Journal für Musik" (www.skug.at). Er leitet die Salzburg-Zweigstelle von MICA (www.musicaustria.at). Seit 1978 ist er als Musiker und DJ tätig, seit 1985 veröffentlicht er Texte zu popkulturellen Themen, seit 2001 hält er (Pop-)Lectures „in Galerien, Museen, Bars, Weinkellern, Clubs und Gärten“, wie es in seiner biographischen Notiz heißt.
Den Essay-Band „Musik ist Müll“, kürzlich erschienen im Limbus Verlag (€ 10.-), hat Didi Neidhart gemeinsam mit dem Musiker, Komponist und Schriftsteller Hans Platzgumer geschrieben. - www.limbusverlag.de

Mit freundlicher Genehmigung der Autoren

 

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