Warum ist es so schwierig, zufrieden zu sein?

LESEPROBE / ANGELIKA REITZER / OBWOHL ES KALT IST DRAUSSEN

16/04/18 Barbara konnte sich für ihr Leben nicht mehr wünschen. Aber wie groß kann das Glück sein, wenn man weiß, dass es wenig braucht, um es zu zerstören? Ohne nachzudenken, im Überschwang vielleicht, aus Lust, alles aufs Spiel zu setzen: Ante, ihre große Liebe, die Familie, das eigene Leben. Wenn sie daran denkt, schwindelt ihr, vor Glück, aber auch vor Angst. – Hier eine Leseprobe aus „Obwohl es kalt ist draußen“.

VON ANGELIKA REITZER

Manchmal sorgte die Musik dafür, dass die Menschen ihn anschauten, als wüssten sie alles über ihn. Und als wäre das schrecklich und schön zugleich. Momente, die wieder vergingen. Dann war er wieder der Typ hinter den Plattentellern. Ein Plattenaufleger, nicht einmal ein DJ, niemals ein Grandmaster Flash.
Ante dachte: großes blondes Mädchen. Sie war schön, sicher, aber es waren doch fast nur schöne Menschen unterwegs, Mädchen, Frauen, oft auch Männer. Einen Augenblick lang schaute sie ihn an. Die hellen Stimmen aus den Lautsprechern sangen Le vent nous portera. Das Wischen des Jazzbesens, der anhaltende Klang, der vom Schlaginstrument ausging, kein Nachhall. Ante spielte nie das Original, manchmal die Version von Manu Chao, selten jene von Element of Crime auf, weil Regeners deutscher Akzent ihm bei diesem Lied einfach nicht gefiel. Schönes Lied. Der Sänger hatte seine Freundin, eine französische Schauspielerin, erschlagen, daran musste er denken, wenn der Song lief. Es interessierte ihn nicht, ob Alkohol oder Drogen im Spiel waren, ob sie sich geprügelt hatten oder dass der Totschläger, der angeblich so sensible Sänger mit den wilden und zärtlichen Texten, sich später auch umbringen wollte. Ante hasste Schläger.
In dieser Version klopfte das Klavier ein paar Töne, die Musik sprang herum wie zu einem fröhlichen Stummfilm, klang wie die Begleitung eines Micky-Maus-Clips. Ganz beweglich war alles, und meistens hüpften die Leute auf der Tanzfläche. Das Arrangement machte es einem leichter, mit dem Pathos umzugehen. Dazu sang ein Mädchenchor, das ging eigentlich gar nicht, und Ante mochte es, hielt aber nie mehr als ein oder zwei Lieder aus. Der Schrecken hatte fast immer mit Ausgelassenheit zu tun.
Vielleicht rechnete er damit, dass sie sich aufregen würde. Oder er war davon ausgegangen, dass sie ihn fragen würde, wer das war. Aber sie fragte ihn nicht, und sie sagte nichts zu ihm. Sie hüpfte nicht wie die anderen. Sie kannte den Song, Scala & Kolacny Brothers, kam ihm nahe, stand da eine Weile, dann wandte sie sich wieder ab und den Tanzenden zu. Der Jazzbesen wischte über die Membran der Trommel: ein beständiger, rhythmisch rauschender Klang. Sie riss die Arme in die Höhe, war vollkommen außer sich. Und gleich wieder bewegte sie sich leicht und ganz im Rhythmus der Musik, Kiss-Kiss oder Move on, alle tanzten dazu. Sie gab sich der Musik hin, war ganz Musik, und dann wieder Lachen, wie sie lachte, wie sie lauter lachte als alle um sie herum, wie sie es ernst meinte mit dem Lachen, dem Frohsein, der Freude. War sie schöner als alle anderen? Fiel ihm auf, wie sie unbedingt bei ihr sein wollten, um sie herum? Als wäre das ihr Abschiedsfest und jeder Moment mit ihr ein ganz besonderer. Wer konnte das schon sagen in einem Club in der Wiener Innenstadt, lange nach Mitternacht? Große Frauen, die wissen, was sie wollen. Große Frauen, die so tun, als wären sie Spielzeug, teures, edles Spielzeug. Eine große Frau, die man sieht. Nicht unbedingt sein Fall.

Ante verließ den Club im Volksgarten, und es war, als hätte diese Begegnung gar nicht stattgefunden. Er stand hinter zwei Leuten. Der Mann sperrte sein Fahrrad auf, und als wäre der Weg hier nicht breit genug oder als überlegte Ante umzukehren, stand er da. Es fiel ihm gar nicht auf. Müdigkeit vielleicht oder als würde er sich anstellen, auf etwas warten. Der Mann legte sich das Fahrradschloss wie einen Orden um den Hals, die Frau zog leicht daran, sie küssten sich lang. Dann gingen sie los, er schob mit der rechten Hand sein Fahrrad, den linken Arm um ihre Schultern. Das Werben der beiden umeinander, vor Antes DJ-Pult und an der Bar ging jetzt ins nächste Stadium über. In ein paar Stunden würde Ante sie nicht wiedererkennen, aber jetzt sah er ihre Gesichter und ihre Geschichten vor sich. Wie sie mit ihren Freundinnen am Montag beim Sport reden würde und er mit seinem besten Freund bei einem Bier; dass sie das halbe Wochenende gevögelt hätten, würde wahrscheinlich weder er noch sie in aller Ausführlichkeit beschreiben, aber andeuten würden es beide. Angestellte, vielleicht auch Studenten, die mehr arbeiteten als studierten, die sich gut fühlten, weil sie in der Arbeitszeit ihre Freizeit planten und ihren Chefs manchmal widersprachen. Ideen hatten, kleine vielleicht, aber Ideen.
Es war schon hell. Morgendliche Kühle, auf der Haut das verschwitzte und mehrfach wieder getrocknete Hemd. Ante ging erst los, als die zwei hinter dem Tor verschwunden waren, schon im nächsten Moment wusste er nicht mehr, ob sie nach rechts oder links abgebogen waren.

Mit freundlicher Genehmigung des Jung und Jung Verlages

Angelika Reitzer: Obwohl es kalt ist draußen. Roman. Jung und Jung, Salzburg 2018. 192 Seiten, 20 Euro. - www.jungundjung.at
All jene, die gerne ihre Leseerlebnisse teilen, sind eingeladen, am Lektüreworkshop „Leseprobe“ teilzunehmen. In der ersten Ausgabe, die am Freitag (20.4.) um 17 Uhr im Jetlag stattfindet, wird in entspannter Atmosphäre bei Kaffee oder Wein der Roman von Angelika Reitzer besprochen.
Mitzubringen sind neben einem Exemplar des Buches außerdem noch Lektüreerlebnisse und Lieblingsstellen. Anmeldungen werden unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder 0662/422 781 erbeten. -  www.leselampe-salz.at
Am Dienstag (24.4.) um 19.30 Uhr liest Angelika Reitzer im Literaturhaus Salzburg aus ihrem Roman. Die Teilnahme am Lektüreworkshop ist mit einem Gratiseintritt zur Lesung verbunden. - www.literaturhaus-salzburg.at
Bild: Peter Rigaud/Jung und Jung Verlag