„Zu unserem Kreis gehört noch Brecht“

LESEPROBE / REIBER / GOTTFRIED VON EINEM

23/01/18 Das Nachkriegs-Salzburg als ein „Weimar des 20. Jahrhunderts“? Dafür brauchte es einen großen Dichter, schreibt Joachim Reiber in seiner Biographie über den Komponisten Gottfried von Einem. „Und der bot sich an. Der Heimkehrer Bert Brecht suchte wieder Fuß zu fassen.“ Streiflichter auf Gottfried von Einems Ende als Direktoriumsmitglied der Salzburger Festspiele. Eine Leseprobe.

Von Joachim Reiber

Was kann die Kunst, wenn Panzer rollen? Welchen Spielraum hat sie, wenn die Macht spricht? Und welcher Spielraum bleibt dem Künstler, wenn er bei denen bleibt, die Panzer schicken? (…)

Dies ist die Parabel vom Dichter Bertolt Brecht: die Parabel von der Selbstüberschätzung des Künstlers. Glaubt er, souverän und frei bleiben zu können in einem System, das genau diese Prinzipien unterläuft, so kann er sich täuschen. Am Ende zahlt er den Preis für die Genossenschaft mit den Mächtigen. Sie sind’s, die ihn zur Figur machen und ihn einbinden in ein Spiel, das am Ende nach ihren Regeln gespielt wird.

Mit Gottfried von Einem hat diese Geschichte einiges zu tun. Einem setzte sich dafür ein, Brecht Möglichkeiten zu geben. Er wollte ihm helfen, als Künstler einen freien Wirkungskreis zu finden – und das tat er so engagiert wie effizient. Dass Bert Brecht 1950 österreichischer Staatsbürger wurde, war zu einem Gutteil seinem Einsatz zu danken. Für den Dichter war diese Staatsbürgerschaft eine Voraussetzung, im ganzen deutschen Sprachraum wirken zu können.

Die deutsche Staatsbürgerschaft war ihm 1935 durch die NS-Justiz aberkannt worden. Er habe, so hieß es im hier angewandten Gesetz, durch sein „Verhalten (…) gegen die Pflicht zur Treue gegen Reich und Volk“ verstoßen und „die deutschen Belange geschädigt“. Das Kriegsende führte nicht zur sofortigen Aufhebung des Urteils. Brecht kehrte 1947 als Staatenloser nach Europa zurück. Er hatte noch immer keinen Pass, als er im Frühjahr 1949 mit Caspar Neher in Zürich zusammensaß und über die Einladung nachdachte, sich an den Salzburger Festspielen zu beteiligen. „Lieber von Einem“, schrieb er damals an den Komponisten, „ich sitze hier mit Cas, und wir haben über das Festspiel gesprochen und es sieht so aus, als ob das ginge. Ich weiß auch ein Äquivalent, mehr für mich wert als Vorschuß irgendwelcher Art; das wäre ein Asyl, also ein Paß. Wenn das überhaupt möglich wäre, so sollte es natürlich ohne jede Publizität gemacht werden.“ Solch ein Pass, schrieb er weiter, wäre für ihn „von enormer Wichtigkeit“. „Ich kann mich ja nicht in irgendeinen Teil Deutschlands setzen und damit für den anderen Teil tot sein.“

Die heraufziehende Spaltung Deutschlands machte den österreichischen Pass umso attraktiver. Ein Jahr später hatte Brecht das ersehnte Papier. Die Salzburger Landesregierung stellte am 12. April 1950 die „Urkunde über die Verleihung der Staatsbürgerschaft“ für Bert Brecht aus. Wenig später, im Juni 1950, erhielt Brecht auch die Staatsbürgerschaft der DDR.

Nun war es Einem, der unter die Räder der Politik geriet. Am 31. Oktober 1951, so stand es in den „Salzburger Nachrichten“, „wurde Gottfried von Einem im Zusammenhang mit der Einbürgerungsaffäre Bert Brechts seiner Funktion als Direktoriumsmitglied der Salzburger Festspiele enthoben“. Brecht sandte dazu Empathiebekundungen aus Ost-Berlin. „Lieber von Einem“, so der Dichter im Oktober 1951: „Schreiben Sie mir doch gleich, ob Sie irgendwelche Aussagen oder Briefe von mir benötigen. (…) Ich verstehe nicht, wie man Ihnen als Künstler übelnehmen kann, daß Sie einem andern Künstler geholfen haben – ich hatte ja damals überhaupt keine Papiere! Herzlichst Ihr alter bertolt brecht“.

Vielleicht verstand er es wirklich nicht, der alte Bertolt Brecht, und auch hier wurde an der Parabel von der Fehleinschätzung geschrieben. Dass ein Künstler dem anderen helfe, um frei zu sein in seiner Kunst – was zählte ein solches Ideal, wenn es ins Mühlwerk der Macht geriet? Es musste kein Terrorregime am Werk sein, um das Exempel zu statuieren, es brauchte keine Panzer wie später in der DDR. Es genügte auch die Variante leiser, verschlagener Opportunität zum Machterhalt, um den Künstler auf den Platz zu weisen. So geschah’s in Österreich, so widerfuhr es Gottfried von Einem. Als Bauernopfer figurierte er in einem Spiel, in dem sich die Politik aus der Verantwortung stahl.

Am Ende war er der große Verlierer. Er war – naiv, wie sich zeigen sollte – davon ausgegangen, dass alle nur gewinnen könnten, wenn Brecht nach Österreich käme und, mehr noch, Österreicher würde. Die Vision von Salzburg als geistigem Zentrum der Nachkriegszeit verknüpfte sich mit seinem Namen. Sollte dieses Salzburg wirklich zu einem „Weimar des 20. Jahrhunderts“ werden, brauchte es dafür einen großen Dichter. Und der bot sich an. Der Heimkehrer Bert Brecht suchte wieder Fuß zu fassen, und auch hier wirkten alte Freundschaften, alte Netzwerke. Caspar Neher, der mit Brecht schon die Schulbank gedrückt hatte, kümmerte sich um den alten Freund und Weggefährten und warf dem jungen Freund, Gottfried von Einem, den Faden zu. Der sollte das Netzwerk fürs Neue knüpfen oder, das war Nehers Bild, die „Clique“ enger schmieden: „(S)ei Du der Schmied, ich kann mir keinen besseren vorstellen (…). Zu unserem Kreis“, hier wurde es klar gesagt, „gehört noch Brecht.“

Aus: Joachim Reiber, Gottfried von Einem. Komponist der Stunde null, Wien: Kremayr&Scheriau Wien 2017 - www.kremayr-scheriau.at
Bilder: Aus der Biographie Gottfried von Einem. Komponist der Stunde null von Joachim Reiber
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Kremayr&Scheriau
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