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Das Boot war damals nicht voll

BUCHBESPRECHUNG / REBELLER, OPFER, SIEDLER

03/07/15 Wenn man das liest, dann kommt man sich vor wie ein Zaungast bei einem Flüchtlingsgipfel, wenn die Landeshauptleute und die Vertreter der Bundesregierung einander den Schwarzen Peter zuschieben und auch die Bürgermeister sich tunlichst aus der Verantwortung davonstehlen wollen.

Von Reinhard Kriechbaum

Wir lesen in dem neuen Buch „Rebeller, Opfer, Siedler“ von Christoph Lindenmeyer. Da geht es um die Protestantenvertreibung durch Erzbischof Firmian im Spätherbst 1731. In Augsburg sagt der (katholische) Bürgermeister sinngemäß: „Das Boot ist voll.“ Er lässt die Stadttore schließen. Die Evangelischen in der Stadt – nicht wenige und auch in guten Positionen – machen sich hingegen für die staatenlos gewordenen Exulanten stark, für die sich eben vor den Stadtmauern Quartiere finden müssen. Tausende um Tausende kamen im Lauf der Wintermonate dort vorbei und wurden von der Bevölkerung vorbildlich umsorgt.

Der protestantische Geistliche Samuel Urlsperger (man würde ihn heutzutage als bunten Hund bezeichnen) hat sich damals besonders verdient gemacht: nicht nur bei der „Erstversorgung“ der Exulanten, denen es – auch wenn man die Schilderung ihrer Leiden als PR-trächtige Überhöhung vorsichtig lesen muss – vor den Salzburger Glaubenswächtern gewiss nicht besser nicht besser ergangen ist als heutzutage „Falschgläubigen“ unter den IS-Milizen. Urlsperger war auch eine der Schlüsselfiguren, als es in den Folgejahren darum ging, für die Salzburger Protestanten an ihren neuen Siedlungsstätten Geldspenden und materielle Hilfe aufzutreiben. Er war ein begnadeter Öffentlichkeitsarbeiter und Logistiker

Die allgemeine Stimmung kam Urlsperger und den lutheranischen Flüchtlingen entgegen: Die „Regierungskollegen“ in deutschen und englischen Landen empörten sich aus gutem Grund gegen den Salzburger Landesherrn Erzbischof Firmian, der sich über die Regelungen des Westfälischen Friedens und den dort festgeschriebenen Toleranzbestimmungen trotzig hinweg setzte. Entsprechend negativ fürs Fürsterzbistum Salzburg und positiv für die Exulanten ist die Propaganda ausgefallen. Die Salzburger Protestanten, bettelarm und traumatisiert, durften fast überall mit beispielhafter humanitärer Hilfe rechnen, wo sie auch hinkamen. Augsburgs Bürgermeister war ein Negativbeispiel.

Die Publikationen von des Augsburgers Samuel Urlsperger gehören zu den Zeitquellen, die Christoph Lindenmeyer ausgewertet hat. Er schildert die – heutig formuliert – gravierenden Eingriffe in die Menschenrechte durch die Schergen des Erzbischofs. Er erläutert quasi dokumentarisch die Fluchtszenarien. Und ganz besonders genau berichtet er von jener kleinen Schar Salzburger, die vom englischen König Georg die Staatsbürgerschaft bekommen hat und in seinem Auftrag nach Amerika, ins heutige Georgia zog. Mit ihren Dorfgeistlichen Boltzius und Gronau (ersterer war ein pingeliger Tagebuch-Schreiber) gründeten sie die Siedlung Eben-Ezer.

Der Umgang mit Indianern war für die Siedler mindestens so gewöhnungsbedürftig wie der Umstand, dass andere Evangelische dort schwarze Sklaven für sich arbeiten ließen (den Salzburgern war das aus ideologischen Gründen verboten).

Die Mühsal des Siedler-Daseins in den 1730er Jahren in der noch englischen Kolonie nimmt breiten Raum ein in dem Buch. Der Autor fasst zusammen, bringt Originalzitate ein (was die Authentizität erhöht). Der Leser wird, so gut es geht, kapitelweise mit Orts- und Zeitsprüngen bei Laune gehalten. Klar: Kurzweilig kann ein solcher historischer Lesestoff nicht sein.

Aber es ist das richtige Thema zur rechten Zeit: Es wird einem bewusst, dass heutzutage Augsburg eigentlich überall ist. Und bedenkt man, wie klein die Städte damals waren, wie vergleichsweise groß die Zahl der Salzburger Exulanten (22.000 waren es ungefähr) und wie niedrig der allgemeine Lebensstandard, dann könnte man sich schon hinter die Ohren schreiben: Von jenen, die damals die glaubenstreuen Salzburger Evangelischen versorgten, könnten wir viel lernen...

Christoph Lindenmeyer: Rebeller, Opfer, Siedler. Die Vertreibung der Salzburger Protestanten. 336 Seiten. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2015. 24.- Euro – www.pustet.at

Buchpräsentation am Dienstag (7.7.) um 19 Uhr in der Dombuchhandlung

Zur Leseprobe „Man eylete mit ihnen in ihre Herbergen...“

 

 

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