Die Macht des Schicksals

BUCHBESPRECHUNG / TINA PRUSCHMANN / LOSTAGE

16/06/17 „Ich habe immer geglaubt, das Leben hielte eine überraschende Wendung für mich bereit. Dass ich in die falsche Straßenbahn einsteige und dann etwas passieren würde, von dem ich im Nachhinein behaupten könnte, dass es alles verändert hat.“ – Dieser Glaube an das Schicksalhafte ist es, den Tina Pruschmann in „Lostage“ beschwört...

Von Verena Resch

„Lostage“ sind bei Tina Pruschmann jene Tage, die den Verlauf des weiteren Lebens entscheidend beeinflussen: durch zufällige Begegnungen, getroffene Entscheidungen oder prägende Erlebnisse. Wie auch im Leben die Bedeutung solcher Tage oft erst später klar wird, braucht es auch im Roman seine Zeit, bis alle Zusammenhänge klar werden – doch der Zauber der Schlussszene ist die Geduld auf jeden Fall wert.

In vielen ausschnitthaften Episoden erzählt die Autorin in ihrem vielversprechenden Debütroman von solchen „Lostagen“. Zeitlich erstrecken sich diese Abschnitte von 1960 bis ins Jahr 2015. Erzählt wird jedoch nicht chronologisch, daher machen anfangs es die zahlreichen zeitlichen Sprünge nicht einfach, dem Geschehen zu folgen.

Zu Beginn jedenfalls verwirrend ist das Beziehungsgeflecht zwischen den Protagonisten. Glaubt man zunächst, nicht zuletzt wegen des Klappentextes, dass Elena - die ihren 88. Geburtstag feiert - und deren Familie im Zentrum des Romans stehen, rücken schon bald viele weitere Personen ins Blickfeld.

Da gibt es Jan, dessen Mutter aus der DDR in den Westen flieht und den das Gefühl des Verlassen-Werdens bis ins Erwachsenenalter tief prägt. Oder seine intersexuelle (Ex-)Freundin Sasha, die sich als Kriegsfotografin an die gefährlichsten Orte der Welt begibt und davon getrieben ist, den Moment zwischen dem Zünden einer Sprengladung und der Explosion festzuhalten. Oder Sashas ehemals beste Freundin Anja, die ihr Umfeld und vor allem wohl ihre eigenen Erwartungen an sich selbst immer wieder enttäuscht. Scheinen sie alle zu Beginn nichts miteinander zu tun zu haben, entsteht nach und nach ein enges Netz an Beziehungen – manche begegnen einander zufällig, andere haben eine Beziehung oder sind miteinander verwandt. Einfühlsam beleuchtet die Autorin das Innerst ihrer Figuren: Ängste, Träume und Sehnsüchte.

Dass viele Zusammenhänge erst spät deutlich werden, ist ein zentrales Charakteristikum des Romans. Dabei erklären sich die episodenhaften Abschnitte oft rückblickend und häufig sind es kleinste Details, die eine Verbindung herstellen.

Die surreal anmutende Eingangsszene, in welcher sich ein Ingenieur beim Bau einer U-Bahn wortwörtlich die Zähne an einer Brunnenwand ausbeißt, und welche zunächst rein gar nichts mit der eigentlichen Romanhandlung zu tun zu haben scheint, stellt sich als zentral heraus. Am Ende wird ein Bogen zum Beginn geschlagen, der Brunnen entpuppt sich als Wunschbrunnen...

Auch wenn am Ende des Romans einiges nur angedeutet bleibt, wohnt den finalen Szenen doch ein ganz besonderer Zauber inne. Die Protagonisten finden auf ganz unterschiedliche Art zu ihrem Glück, das auch in den kleinen, unscheinbar wirkenden Momenten liegen kann.

Tina Pruschmann: Lostage. Roman. Residenz Verlag, Salzburg/St. Pölten 2017. 224 Seiten, 22 Euro - www.residenzverlag.at