Und die Orgel dreht durch

JAZZFESTIVAL SAALFELDEN

30/08/15 Machen wir es den Festspielen nach, die dieser Tage ihre Superlativen, von der Menge an Glassteinen im „Fidelio“-Luster (1820) bis zur Leistung der Klimaanlagen (rund 50 Millionen Kubikmeter umgewälzte Luft), bekannt gegeben haben. Was ließe sich diesbezüglich über Saalfelden sagen?

Von Christoph Irrgeher

Nun, von Donnerstag bis Sonntagabend werden in der Pinzgauer Gemeinde insgesamt 31 internationale Jazz-Acts zu hören gewesen sein. Als spektakulärstes Utensil der Hauptbühnenkonzerte (15 im Saalfelden Congress) darf bis dato der „Paetzold Bass Recorder“ von Maja Osojnik gelten – eine Bassblockflöte, die zwar nicht mit Funkelglas beeindruckt, aber mit der Optik einer Raketenabschussbasis. Als meteorologisches Kuriosum wiederum erweist sich der Umstand, dass diesmal keine einzige Regenwolke drohend heranzog. Das Festivalzelt vor dem Kongressgebäude konnte somit – wohl erstmals in seiner Geschichte – als Schutz vor einem hierzulande sonst unbekannten Phänomen dienen, das da heißt: Sonnenbrand.

Freilich: Will man einem gehaltvollen Festivalformat – und ein solches ist Saalfelden auch heuer – Gerechtigkeit erweisen, muss man doch etwas detaillierter berichten. Gehen wir also noch einmal zurück zur Eröffnung der Hauptbühne am Freitagabend (28.8.). Wie üblich flankiert von einer Staffel mehr oder minder versierter Redner, reichte die Hierarchie heuer bis hinauf zu Landeshauptmann Wilfried Haslauer. Neu war dabei ein karitativer Tonfall. Nach den jüngsten Horrormeldungen zum schwelenden Flüchtlingsleid versicherte Bürgermeister Erich Rohrmoser sein Engagement und Mitgefühl; Festivalsprecher Harald Friedl inszenierte eine Geste des Aufbegehrens: Auf sein Geheiß hin erhob sich das Publikum für ein Foto gegen das „Versagen“ der Politik: „Keiner darf sich drücken, wenn Menschen sterben. Wir wollen uns nicht für Österreich schämen müssen.“ Eine berührende, aber vor allem symbolische Aktion: In der weltoffenen Jazzergemeinde gibt es kaum einen, der zur Humanität erst überredet werden müsste.

Für hohe Intensitätswerte sorgt danach Maja Osojnik. Die gebürtige Slowenin und Wahlwienerin, Jahrgang 1976, ist heuer mit der musikalischen Eröffnung betraut worden. „All.The.Terms.We.Are“ heißt das dafür ersonnene Programm der Sängerin und Flötistin: Saalfelden-typisch schaukelt es zwischen freier Improvisation und (mehr oder minder) notierter Struktur. Vor allem aber ist diese Musik randvoll mit Selbstbehauptungszorn. Mit der Wut einer Frau und Freistilkünstlerin, die sich nicht in Schubladen zwängen lassen will, grollt Osojniks grubendunkle Stimme: „What do you want me to be?“. Auszucker folgen. Im Verbund mit einem Zermerscher-Schlagzeug (Lukas König), Bratzel-Elektronik und schlierigen Duo-Gesängen (mit Cellistin Audrey Chen) wirkt dies wie eine düstere Brühe aus Björk, Joy Division und Jazz-Avantgarde. Zugegeben: In manchen Momenten dieser Uraufführung, wenn das ganz schwere Pathos regiert, sind die Grenzen zur Behäbigkeit fließend. Etwas mehr Struktur im Programm, und Osojniks Sextett müsste sich nicht mehr durch Längen lavieren.

Im weiteren Verlauf des Freitagabends setzt es dann noch einige starke Momente. Sie summieren sich aber nicht zu stimmigen Konzerten. „The Bureau of Atomic Tourism“ rund um Schlagzeuger Teun Verbruggen hat vor allem einen tollen Namen. Mit seiner losen Mischung aus Film-Noir-Anleihen, verschwommenem Jazzrock und grantigen Gitarre-Einlagen bleiben die Klangreize aber weitgehend kaleidoskopisch.

Solche Mischungen sind typisch für Saalfelden, man hört sie auch anderntags: Mit ähnlichem Namen, aber mehr Fingerspitzengefühl für geschmeidige Übergänge pendelt das skandinavische Quintett Atomic (mit Havard „Eine Sekunde – tausend Töne“ Wiik am Klavier) zwischen Freejazz-Rabatz und einer fast impressionistischen Anmut.

Am prägnantesten aber der Auftritt von Michael Riesslers Trio. Wiewohl kurzfristig eingesprungen, kann diese Formation in ihrer Verbindung aus Wagemut und Ausdruckskraft emblematisch für Saalfelden stehen. Stimmt zwar: Der deutsche Bassklarinettist ist hier schon 2008 aufgetreten, ebenfalls gemeinsam mit dem Drehorgel-Spieler Pierre Charial. Das – bereits damals gehörte – Grundkonzept bleibt dennoch frisch: Umgeben von einem Wald an Orgelpfeifen, lässt Charial seinen Leierkasten kilometerweise irre Lochbänder fressen. Man muss sich dieses Pfauch-Pfeif-Geratter vorstellen wie eine Mischung aus den Orgel-Infernos des jungen Keith Emerson („Tarkus“), den Fingerbrecher-Etüden György Ligetis und einer technoid beschleunigten Zirkusmusik – als wäre diese Orgel der Begleiter eines Bobby Lugano auf Crack.

Riesslers Kunst steht dem nicht nach. Der Bassklarinettist, der sich gottlob nicht mit einschlägigen Avantgarde-Effekten bescheidet (Klackern und Quäken), stellt mit seiner Zirkulär-Atmung schier endlose, kunstvoll gedrechselte Arabesken in den Klangraum, und Cellist Vincent Courtois befeuert das Furioso mit Staccato-Salven und Haltetönen – insgesamt ein Klangpanorama zwischen Progrock, Jazz, Neuer Musik und nacktem Wahnsinn.

Nominell ein Highlight dann der Auftritt von Steve Coleman: Der 58-Jährige aus Chicago zählt zur Phalanx der Saxofonisten-Zunft. Das liegt nicht nur an seinem kernigen, gleichwohl zu feinen Lyrismen fähigen Ton, sondern auch an seiner Handschrift als Tonsetzer. Coleman ist Meister einer Musik des Zwielichts an der Tonalitätsgrenze; auch rhythmisch klingt sein abstraktes Linienwerk wie verwaschen. Begleitet von einem 13-köpfigen Kammerorchester, von der Pauke bis zur Piccolo-Flöte, lassen sich dieser Musik geradezu romantische Qualitäten abluchsen. Subtil instrumentiert war sie hier jedoch nicht.

Aber das Festival hat ja noch einen großen Namen, den es aus dem Ärmel schütteln wird: Zum Abschluss heute Sonntag (20.30 Uhr) greift der Gitarrengrande James Blood Ulmer in die Saiten.

DrehPunktKultur-Gastautor Christoph Irrgeher ist Redakteur der Wiener Zeitung - www.wienerzeitung.at
Bilder: Jazzfestival Saalfelden / Peter Moser