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Was sie an den Lungau bindet

TAMSWEG / FILM / IVETTE LÖCKER

02/11/17 In diesem Frühjahr hat die aus dem Lungau stammende Filmemacherin für „Was uns bindet“ beim österreichischen Filmfestival „Diagonale“ in Graz den Hauptpreis im Bereich Dokumentarfilm bekommen: auch ein Signal für eine Zeitstimmung.

Von Reinhard Kriechbaum

Ivette Löcker lebt in Berlin. Nach Hause in den Lungau kommt sie mit durchaus gemischten gefühlen. In der ersten Einstellung sehen wir sie auf dem Massagebett liegend. Sie lässt sich durchkneten, denn „wenn ich in den Lungau komme, bin ich immer gleich viel verspannter.“ Eine Liebeserklärung an die Heimat wird das wohl nicht – oder doch?

Ja, die Liebe. Die trägt durchaus zur Verspannung in der Familie bei. Ein schmuckes Haus in St. Michael im Lungau, zwei ältere Leutlein. Nach außen hin ganz proper und unauffällig. Aber: In Wirklichkeit sind die beiden – die Eltern der Filmemacherin – geschiedene Leute. Der Vater lebt seit achtzehn Jahren im unteren Stockwerk, die Mutter oben. Gelegentlich gibt’s für ihn eine Bratwurst, aber sogar dann flammt Streit auf, ob die zu scharf ist oder nicht.

Ivette Löcker hat mit einigem Mut ihre Familie abgebildet, ihre Eltern und deren Verhältnis zu ihr selbst und ihren beiden Schwestern. „Was uns bindet“ ist ist die große Frage: Was bindet die beiden Alten aneinander? Und was bindet die Töchter noch an den Lungau, der „von hier heroben“ – von der Schipiste aus – am schönsten ist, wie die Regisseurin in einer Szene verrät. Für die Eltern gilt: Für eine ernsthafte Scheidung fehlten Geld und Entschiedenheit, vielleicht auch die konkrete Aussicht auf einen neuen Lebenspartner. Garten, Hund, das ist der Mutter Revier und ihr kleines Glück. Der Vater scheint doppelt genügsam, es reichen ein paar Hasen im Käfig und der Hund der Beinah-nicht-mehr-Gattin, den er unerlaubterweise mit zu fetter Wurst füttert. Irgendwie reicht's nicht mal für einen häuslichen Kleinkrieg, und das ist wohl mehr als gut so.

Die Töchter haben von ihm ein desolates altes Haus überschrieben bekommen. Was damit geschehen soll? Darüber haben Vater und Töchter auch unterschiedliche Meinung, logisch. Geld im Lungau investieren, wo doch so viele Junge irgendwo anders sind?

Das ist alles auf 102 Filmminuten aufbereitet. „Herzblutig unspektakulär“ schrieb der DrehPunktKultur nach der Uraufführung in Graz. Aber gerade das mag die Jury für den Streifen eingenommen haben. Es ist die direkte, nicht mit irgendwelcher „Bedeutung“ aufgemotzte Art, ein Stück eigene Lebensgeschichte aufzubereiten, die das Besondere ausmacht. Im globalen Welt-Dorf, in dem es so viele längst aus dem realen Dorf in die Großstadt gezogen hat, ist das Nachdenken über die eigenen Wurzeln wohl ein Symptom des Zeitgeistes. Könnte das jemand besser und typischer aufbereiten als eine Lungauerin der „mittleren“ Generation?

Ivette Löcker hat Slawistik (Russisch), Osteuropäischen Geschichte und Soziologie in Wien studiert, ab Ende der 1990er Jahre war sie als Rechercheurin, Produktionsleiterin und Regieassistentin an verschiedenen Filmen beteiligt, so etwa an „Pripyat” von Nikolaus Geyrhalter (einer der ersten Dokus über das geräumte Gebiet rund um tschernobyl). Seit 2006 dreht sie selbst Dokumentarfilme, etwa das wunderbare Menschenbild „Wenn es blendet, öffne die Augen“ über ein drogenabhängiges Paar in der Ex-Sowjetunion (2014).

Heute Donnerstag (2.11.) um 19.30 Uhr im Schloss Kuenburg (Tamsweg) – www.lungaukultur.at
„Was uns bindet“ ist auch im Kunsthaus Nexus Saalfelden (11.11.) beim 16. Filmfestival Radstadt zu sehen, am 12.11. um 13 Uhr im Zeughaus am Turm – www.daszentrum.at
Bilder: www.mischief-films.com (2); dpk-krie (1)

 

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