Seitenblicke auf einen Mörder
NEU IM KINO / JACK
11/09/15 Im Schreckenskabinett österreichischer Schwerverbrecher nimmt Jack Unterweger eine Sonderstellung ein. Als verurteilter Mörder, den sprachliches Geschick und das Charisma des charmanten Killers direkt vom Knast ins Rampenlicht der heimische Kunstszene katapultierte, lässt er tiefer in die österreichische Seele blicken als jeder nachträglich als Psychopath entlarvte brave Nachbar.
Von Christoph Pichler
Regisseurin Elisabeth Scharang hat den „Häfenpoeten“ selbst Anfang der 90er Jahre persönlich kennengelernt und mehrmals interviewt. Diese Erfahrung nutzt sie in ihrem aktuellen Film „Jack“, um sich dem Menschen hinter den Schlagzeilen zu nähern, ohne dabei in beruhigende Klischees zu verfallen oder ihn nachträglich schuldig sprechen zu wollen. Aus diesem Grund klammert sie die internationale Mordserie an Prostituierten, für die Unterweger nach seinem Suizid nie rechtskräftig verurteilt werden konnte, weitgehend aus und konzentriert sich in ihrem Psychogramm auf den einzigen Mord, für den er tatsächlich schuldig gesprochen wurde.
So beginnt die Geschichte von „Jack“ im Winter 1974, als der 24-jährige Unterweger (Johannes Krisch) im Beisein seiner Freundin Charlotte (Sarah Viktoria Frick) eine junge Frau entführt, beraubt und anschließend brutal tötet. Zu lebenslanger Haft verurteilt, kanalisiert er seine dunklen Gedanken fortan in Texte und Gedichte – und gewinnt dadurch neben vielen Frauen-Herzen auch die Unterstützung namhafter Künstler, wodurch er nach 15 Jahren hinter Gittern mit offenen Armen in der Freiheit empfangen wird. Doch so perfekt er sich als „gezähmter Wolf“ in die Bussi-Bussi-Szene integrieren und beruflich reüssieren kann, so sehr gärt es in ihm weiter, bis schließlich die Blase platzt.
An den bubihaften Unterweger von der „Club 2“-Couch erinnert Scharangs „Jack“, Johannes Krisch, nur bedingt. Während beim „Original“ besonders die Mischung aus harmlosem Äußeren und kaum vorstellbaren Gewaltphantasien im Inneren faszinierte, wirkt der schwer tätowierte Krisch schon auf den ersten Blick bedrohlich und überrascht dadurch umso mehr mit seinen feingeistigen Äußerungen.
Neben dem dominanten Jack gehen die anderen durchaus hochkarätig besetzten Protagonisten größtenteils unter. Paulus Manker als zweifelnder Gerichtspsychologe und Birgit Minichmayr als ebenso findige wie windige Journalistin müssen sich damit begnügen, die Rahmenhandlung ein wenig voranzutreiben. Interessanter sind da schon Sarah Viktoria Frick als „unfreiwillige Mord-Komplizin“, Corinna Harfouch als wohlsituierte Geliebte und Inge Maux als Jacks Mutter, die bei ihren kurzen Auftritten tiefe Einblicke in die gestörte Psyche gewähren – sowohl in die eigene als auch in die von Jack.
Eineinhalb Jahre lang hat Elisabeth Scharang für einen Dokumentarfilm über Jack Unterweger recherchiert, ehe sie sich fürs Spielfilmformat entschied. Die damit gewonnene Freiheit hat sie aber nur leidlich genützt. Zwar ist der Ansatz, sich dem Frauenmörder über seine Frauenbeziehungen zu nähern, wohl der psychologisch ergiebigste, doch macht sie dafür zu viele Abstriche. Vor allem der Versuch, sich bei der Unterweger zugeschriebenen Mordserie demonstrativ neutral zu positionieren, tut dem Film in der letzten halben Stunde nicht gut. Wenn Scharang schon betont, dass sie „letztlich natürlich nur eine fiktive Geschichte“ erzählt, wäre hier mehr „fiktive Klarheit“ (in welcher Richtung auch immer) möglich und nötig gewesen. So bleibt zumindest ein teils beeindruckend bebildertes Psychogramm - stimmungsvoll untermalt mit Psycho-Pop von „Naked Lunch“ und getragen von einem bedrohlichen Johannes Krisch, dessen Jack die nicht aufgeklärten Prostituierten-Morde jedenfalls zuzutrauen wären.