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Eine Chronistin des russischen Theaters

IM PORTRÄT / MARINA DAVYDOVA

24/11/22 Von Putins Ukraine-Politik muss sie sich nicht mehr eigens distanzieren. Sie ist im März dieses Jahres aus Russland geflohen, nachdem man ihr – ein unmissverständliches Zeichen – ein „Z“ auf die Wohnungstür gemalt hatte. – Marina Davydova ist ab Herbst 2023 Schauspiel-Chefin der Saalzburger Festspiele.

Von Reinhard Kriechbaum

Mit Intendant Markus Hinterhäuser hat die 1966 im aserbaidschanischen Baku geborene Marina Davydova schon 2016 zusammengearbeitet, als dieser noch Intendant der Wiener Festwochen war. Sie ist dort seither Schauspiel-Kuratorin.

Marina Davydova hatte am 24. Februar eine Petition verfasst, in der Putin zur Einstellung der Kampfhandlungen in der Ukraine aufgefordert wurde. Es folgten telefonische Drohungen und schließlich besagte „Z“-Schmiererei. Das Zeichen hat sie gut verstanden...

„Was Künstlerinnen und Künstler im Krieg tun sollen, und was der Zweck der Kunst in Kriegszeiten ist – diese zwei Fragen sind mir seit Februar 2022 sehr häufig gestellt worden“, so die künftige Schauspielchefin in der heute Donnerstag (24.11.) verbreiteten Pressemeldung der Salzburger Festspiele. „Für mich sind dies jedoch zwei fundamental unterschiedliche Aspekte: Künstler können in Zeiten politischer und sozialer Katastrophen ihre Ressourcen als Person des öffentlichen Lebens nutzen, zur Meinungsbildung beizutragen. Ich ziehe es vor, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.“
Kunst soll nicht in Geiselhaft für gegenwärtige politischer Umstände, Schwankungen in der öffentlichen Meinung oder aktueller Trends genommen werden, sagt Marina Davydova. „Sinn und Zweck der Kunst bleiben meiner Ansicht nach unveränderlich: das Leben in all seinen ontologischen, existenziellen und sozialen Aspekten zu ergründen. Als Leiterin des Schauspiels der Salzburger Festspiele wird mein Interessensschwerpunkt in erster Linie auf der Suche nach der Tiefe und Überzeugungskraft des Theaters und der Theaterarbeit liegen.“

Marina Davydova gilt als herausragende Kennerin der russischen Schauspielszene, deren (von Putin aprupt gestopptes) Aufblühen in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten sie maßgeblich befördert hat, als Theatermacherin, Festivalleiterin und Publiziustin. „Marina Davydova hat sich als künstlerische Leiterin des NET Festivals und als Leiterin des Schauspiels der Wiener Festwochen sowie als Autorin und Regisseurin hohe Reputation erworben“, sagt Intendant Markus Hinterhäuser über die ihm bestens bekannte Theaterfrau. „Der Schwerpunkt des
Schauspiels der Salzburger Festspiele wird weiter auf deutschsprachigem Repertoire liegen, gleichwohl soll unter ihrer Leitung mit einer verstärkt internationalen Ausrichtung unserem hohen Besucheranteil aus insgesamt 76 Ländern Rechnung getragen werden.“

Ihre Heimat hat Marina Davydova schon zwei Mal eingebüßt. Während die Tochter eines Armeniers und einer Russin am renommierten GITIS für Theaterkunst in Moskau studierte, waren Ende der 1980er Jahre in Armenien und Aserbaidschan nationalistische Unruhen ausgebrochen, sie kehrte jahzehntelang nicht dorthin zurück. Heuer im März also die zweite Flucht, endgültig in den Westen, wo sie ohnedies längst Fuß gefasst hat.

Als Theaterkritikerin (unter anderem für die Iswestija) wurde Marina Davydova zu einer maßgeblichen Chronistin des russischen Theaterbetriebs. Das Festival Neues Europäisches Theater (NET) hat sie mit ihrem Kritikerkollegen Roman Dolschanski 1998 begründet. Bis 2021 hat es stattgefunden und einerseits das Moskauer Publikum mit aktuellen Theaterströmungen im Westen bekannt gemacht, andrerseits viele junge russische Regisseure zu neuen Wegen motiviert. Mit dem NET-Festival ist es jetzt vorbei, auch mit der Zeitschrift Teatr, die sie seit 2010 leitete. Die Printausgabe wurde heuer im März aus politischen Gründen eingestellt.

Gemeinsam mit der nunmehrigen Intendantin des steirischen herbst, Ekaterina Degot, und der Autorin Marija Stepanowa gehörte Davydova der Redaktion des Onlinemediums OpenSpace.ru an. Regelmäßig veröffentlicht sie Texte in der deutschen Zeitschrift Theater heute. Marina Davydova übernimmt die Leitung des Schauspiels der Salzburger Festspiele am 1. Oktober 2023, die kommende Saison verantwortet noch Bettina Hering. Davidovas Vertrag läuft vorerst auf drei Jahre bis 2026.

Bilder: SF/Neumayr/Leo

 

 

 

 

 

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