Gewohnheitstiere und ihre Eitelkeiten

HINTERGRUND / KARIDNAL KÖNIG KUNSTPREIS 

19/10/21 Der neunte Kardinal König Kunstpreis geht an Michèle Pagel. Die 1985 in Werdau in Deutschland geborene Künstlerin kombiniert Keramikelemente mit Mixed-Media-Materialien zu politischen Installationen. Ihr Kerami-Pfau vor dem Spiegel hält dem Betrachter einen Spiegel vor.

„Pagels Skulpturen, für die sie Alltagsgegenstände leicht abstrahiert in glasiertem Ziegelstein kopiert und verfremdet, bestechen durch die zeitlose Formensprache und ihren scharfzüngigen Witz. So wird etwa ein Keramik-Papagei vor einer Schreibmaschine zum Smooth Operator, während die Skulptur All Yours an eine Topfpflanze erinnert und Nudelholz und Pfanne schwingt.“

In der ehemaligen DDR aufgewachsen, stellt Pagel kapitalismuskritische, feministische und antifaschistische Themen ins Zentrum ihrer Skulpturen und Installationen. Der geschnitzte und oft glasierte Ziegelstein offenbart dabei das geballte zeitgenössische Potenzial der Keramik. „Mal unheimlich, mal elegant sind die Werke der Künstlerin auf jeden Fall eines: unerbittlich treffsicher.“

Michèle Pagel, Jahrgang 1985, studierte Bildhauerei in Leipzig, Mailand und Wien und diplomierte 2012 bei Julian Göthe an der Akademie der bildenden Künste Wien. Zwischen 2009 und 2014 unterrichtete sie bildhauerische Keramik an der Kunstuniversität Linz. Ihre Werke sind europaweit in Gruppen- und Einzelausstellungen zu sehen, unter anderem im Österreichischen Kulturforum Moskau, in der Startgalerie des MUSA Wien und in der Galerie Meyer Kainer. Michèle Pagel lebt und arbeitet in Wien.

Die mit dem Kardinal König Kunstpreis ausgezeichnete Installation Pagels trägt den Titel Crrreature Of Habit aus der Werkserie Das Glück ist ein Vogerl aus 2021. In ihrem Zentrum sitzt ein lebensgroßer männlicher Pfau hinter einer freistehenden Zauntür, der in einen wiederum hinter ihm positionierten Vorzimmerspiegel blickt. Wie viele andere Skulpturen Pagels ist auch der Pfau aus Ziegelsteinen gefertigt, die vor dem Brennen und Glasieren in die jeweilige Form geschnitzt werden. Das Tier, das den Blick vom eigenen Spiegelbild nicht abwenden kann, scheint in einem selbstgewählten Gefängnis zu verweilen. Den Betrachtern hat das Tier den Rücken zugewandt. „Sie können dem Pfau nur im Spiegel in die Augen blicken - und sehen sich selbst dabei hinter Gittern“, so die Künstlerin über ihre Installation, die in ihrer allegorischen Doppelbödigkeit gleich mehrere Gefangene macht.

Die Jury hat sich beim diesjährigen Kardinal König Kunstpreis einstimmig für die Arbeit der Künstlerin Michèle Pagel ausgesprochen. „Inhaltlich subtil verhandelt sie durch die Symbolik des sich (und uns) im Spiegel ansehenden Pfaus Themen wie Macht, Schönheit, Freiheit, aber ebenso die Frage nach den fragilen und flüchtigen Beziehungen in der heutigen Zeit, die durch das rostige, uns abweisende Gartentor sich förmlich aufdrängt.“ So Harald Krejci im Namen der Jury 2021.

Der aus geschnitzten Ziegelsteinen zusammengesetzte, bemalte, gebrannte und glasierte Pfau diene der Künstlerin als künstlerisches Zitat der Geschichte der Kunst der Moderne, etwa Picasso. Die Verwendung und Bearbeitung von Ziegelsteinen deute als Referenz auf ihre Auseinandersetzung mit Architektur hin. „Im räumlichen Setting mit dem Gartentor und dem Spiegel werden die Betrachterinnen in dieses Spiel von Darstellungsmodi involviert oder distanziert. Pagel schafft es, eine Stimmung zu erzeugen, die im Hinblick auf den Titel eine ganze Reihe an weiteren Assoziationen zulässt. Sie stellt uns Creatures of Habit, also Gewohnheitstiere, mit ihren Vogelinstallationen vor, die sich im Spiegel ihrer Schönheit – und damit ihrer Macht – vergewissern und sie am liebsten festhalten wollen.

Dieser erste Eindruck wird dann durch den Untertitel Das Glück ist ein Vogerl konterkariert.“ Dieser einem Wienerlied entnommene Titel stehe für Achtsamkeit sowie für die Wertschätzung des Moments und das Bewusstsein um die Vergänglichkeit des Lebens, so Harald Krejci. Pagel sehe für eine neue Generation an Künstlerinnen, „die sich die symbolträchtigen Versatzstücke der ganz persönlichen Lebensrealität spielerisch aneignen, sie analysieren, dekonstruieren und durch oft gängige Techniken des Reproduzierens in künstlerische Räume übersetzen“.

Der Jury 2021 gehörten Dr. Rainer Fuchs (Chefkurator Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig - mumok), Mag. Harald Krejci (Chefkurator Belvedere), MMMag. Hubert Nitsch (Kurator, Kunstreferent und Diözesankonservator), Mag. Hemma Schmutz (Direktorin der Stadtmuseen Linz) und Dr. Margit Zuckriegl (Kunsthistorikerin und Kuratorin) an. (Kardinal König Kunstfonds / dpk-klaba)

Der Festakt zur Preisverleihung des neunten Kardinal König Kunstpreises sowie die Eröffnung der begleitenden Ausstellung mit den Werken aller zwanzig nominierten Künstlerinnen und Künstler finden am Samstag 27. Novembe um 18 Uhr in St. Virgil statt - www.kardinalkoenig-kunstpreis.at
Bilder: Brandstaetter Foundation (1); Galerie Meyer Kainer (2)