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Könige, Königinnen – und die Res publica

IM WORTLAUT / HELGA RABL-STADLER

31/07/18 Helga Rabl-Stadler ist, wie berichtet, Ehrenbürgerin der Stadt Salzburg geworden. In ihrer Rede gestern Montag (30.7.) im Karl-Böhm-Saal hat sie, wie es ihre Art ist Persönliches und Grundsätzliches angesprochen. - Die Rede im Wortlaut.

Von Helga Rabl-Stadler

(…) Für mich gilt, was selbst Hans Weigel, der verletzend scharfzügige Festspielkritiker, sich eingestehen musste: „Wer Salzburg kennt, mit dem werden es andere Städte schwer haben.“ Dass ich heute Ehrenbürgerin dieses meines viel geliebten Salzburg werde, begeistert mich seit ich es völlig überraschend aus der Zeitung am Frühstückstisch erfuhr (...)

Meine Mutter Rosl Stadler und meine beiden Väter, Gerd Bacher und Wilfried Stadler wären mächtig stolz auf mich. Sie haben mich sehr bewusst zur Bürgerin erzogen, ein bisschen im Sinne von bourgeois, aber glücklicherweise schon sehr viel mehr im Sinne von citoyen. Auch wenn meine Mutter diese Bezeichnungen sicher nicht kannte.

Wir wollten Bildungsbürger sein. Die Kinder Wilfried, Susi und ich sollten jene Bildungschancen erhalten, die den Eltern durch die Zeitläufe verwehrt gewesen waren. Früh dürften wir in die Festspiele. Und meine zahlreichen Tagebuchnotizen über diese Festspielbesuche könnten durchaus ein abendfüllendes Kabarettprogramm nähren. Eine kleine Kostprobe möchte ich liefern, um das übermäßig Feierliche dieser Stunde zu brechen:

17. August 1961 – ich war also 13 Jahre und mein Bruder Wilfried 10:
„Es war sehr kalt und schneite. Am Abend gingen wir trotz des schlechten Wetters in die Felsenreitschule. Der Bauer als Millionär. Die erste Stunde glaubte man, es würde keine schöne Aufführung werden, da der Regen alle anderen Geräusche übertönte. Doch dann wurde es immer schöner. Wir saßen in der 1. Reihe. Ich kann meine Eindrücke und die Schönheit nicht mit Worten beschreiben. Doch ich werde ewig an diese Aufführung denken. Leider hat Wilfried das Programm verschustert. So werde ich die Schauspieler zum Teil schreiben:
Fortunatus Wurzel – Josef Meinrad
Alter – Hans Moser
Zufriedenheit – Paula Wessely
Lottchen – Christiane Hörbiger

Die Festspielkarten waren auch eine willkommene Entschädigung dafür, dass wir im Sommer keine große Urlaubsreise machen konnten, weil die Mutter Geld verdienen musste. Das Modehaus Resmann war auch dank der Festspielgäste zu einer europäischen Adresse in Sachen Mode geworden. So erhielt ich sehr früh Anschauungsunterricht zum Begriff der „Umweg Rentabilität“, den die Festspiele damals noch nicht einmal erfunden hatten.

Einen dunklen Punkt in meiner Jugend möchte ich hier auch offenlegen: Liest man die Karriereläufe in Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, dann waren die Erfolgreichen allesamt schlechte Schüler oder Schul-Abbrecher, oder gingen zumindest ungern in die Schule. Ich bin die Ausnahme von der Regel: Aus mir ist etwas geworden – sogar eine Ehrenbürgerin – obwohl ich sehr gerne gelernt habe, obwohl ich eine sehr gute Schülerin und obwohl ich eine sehr gute Studentin war.

Mein Talent zur Gratisrednerin der Nation wurde früh bei Schulfesten, Ehrungen und Redewettbewerben aller Art ausgebeutet. Als der 26. Oktober 1965 zum Nationalfeiertag erhoben wurde, hat selbstverständlich die Stadler aus der 7A den Schülerinnen von 20 Klassen der Frauenoberschule die Festrede gehalten und erklärt, „warum die Regierung gerade den 26. Oktober erkor“:

Auch wir können und müssen unseren Beitrag zum europäischen Frieden leisten, indem wir zuerst für Ruhe und Übereinstimmung im eigenen Land sorgen. Lernen wir aus den Fehlern der Vergangenheit“, lautete die Conclusio meiner – wie mir heute scheint – ziemlich altklugen Rede. Aber reifte da nicht schon die Präsidentin eines als europäisches Friedenswerk gegründeten Festspiels heran?

Es wird sie sicher auch nicht verwundern, dass ich im November 1971 die Dankesrede im Namen aller Promovierenden dieses Jahrgangs hielt. Diese war offensichtlich so mitreißend, dass man mich nachher fragte, ob mein Vater Gerd Bacher sie verfasst hätte – ein lästiges Kompliment, mit dem zu leben ich über seinen Tod hinaus zu leben gelernt habe.

Aber Spaß beiseite. Beim Rückblick auf mein privat und beruflich bewegtes Leben kann ich summieren, dass alles Sinn gemacht hat. Ich zitiere Henry David Thoreau: Tun zu können, was man gerne tut, bedeutet Freiheit. Das gerne zu tun, was man tut, ist Glück.

Ich hatte und habe Glück. Als Studentin, als Journalistin, als Unternehmerin, als Politikerin und jetzt ganz besonders als Festspielpräsidentin. Und ich konnte diese meine glückhaften Erfahrungen in die jeweils nächste Tätigkeit nutzbringend für diese einbringen. Das begann schon mit dem Studium.

Ursprünglich hatte ich Jus studiert, weil meine Eltern wollten, dass ich etwas Gescheites mache, bevor ich mich dem Journalismus zuwende. Ein Beruf, der obwohl oder weil mein leiblicher Vater Gerd Bacher Journalist war, in unserer Familie kein großes Ansehen hatte.

Aber dann wurden die vier Jahre an der jungen Salzburger Universität für mich prägend. Das verdanke ich mitreißenden Lehrerpersönlichkeiten wie Theo Mayer-Maly und Friedrich Koja, vor allem aber René Marcic. Keiner von uns Studenten hätte es gewagt nach einem Skriptum zu lernen. Jeder von uns versuchte die wahnsinnig lange Literaturliste, die er uns jedes Semester mitgab, vollständig zu lesen. Denn alle wollten vor ihm bestehen.

Wir lasen Heraklit. Das klang dann so „Bürger müssen um ihre Gesetze wie um die Mauern ihrer Stadt kämpfen“. Wir lasen Wladimir Sergejewitsch Solowjow, der postulierte „Das Recht ist die untere Grenze der Moral.“ Wir lasen Rudolf von Jhering, der uns mahnte „Die Rechtsordnung muss nicht nur dann zusammenbrechen, wenn ihre Pflichten nicht erfüllt, sondern genauso wenn ihre Rechte nicht mehr wahrgenommen werden.“

Und wir hörten René Marcic: „Wahre die Rechtsordnung, verwirkliche das Recht, liebe den Staat – denn der Staat bist Du! Jeder Staat ist so, wie die Menschen sind, die in ihm leben und wie die Beziehungen beschaffen sind, in denen die Menschen zueinanderstehen. Der Staat ist nicht das Finanzamt, nicht die Polizei, nicht die Ministerialbüros, sondern er ist der Inbegriff all jener Menschen und Ihrer Angelegenheiten, die sie alle unmittelbar und jeden Tag angehen und die als eigene Sache öffentlich verhandelt werden müssen. Res publica, der Staat ist unsere Sache.“

Keine schlechte Denkvorlage für eine Journalistin, Politikerin und Ehrenbürgerin, oder? Meine ganze Passion aber gehörte dem Journalismus. Welche Giganten des Wortes habe ich in diesen Jahren kennengelernt. Legenden wie Milan Dubrovic, Hans Weigel, Karl Löbl, Otto Schulmeister, ja und den unverwüstlichen Hugo Portisch.

Er steht auch heute noch wie der Fels in der Brandung von fake news. „Die Wahrheit ist unser Gag“, lautete einer seiner Leitsätze, auf die er uns Junge einschwor. Es erfüllte mich mit Stolz einem Berufsstand anzugehören, der für das Funktionieren der Demokratie so essentiell ist. Und es erfüllt mich mit Sorge, dass die so wichtige Beziehung zwischen Journalismus, Politik und Bevölkerung nicht mehr stimmt, von gegenseitiger Verachtung massiv gestört ist.
Aber das wäre eine andere Rede.

Die Jahre im Journalismus waren für mich auch deshalb so prägend, weil sich mein Leben nach Wien verlagerte. „Österreicher kann man nirgendwo besser werden als in Wien“, sagte mein Vater auch für mich so richtig.

Die Abneigung gewisser Salzburger Kreise gegen die Bundeshauptstadt hatte ich schon vorher nicht geteilt. Die Herablassung gewisser Wiener Zirkel gegenüber Salzburg ist mir ebenso unsympathisch. Manch böse Kritik an den Salzburger Festspielen einst und jetzt rührt allerdings von dieser wienerischen Einstellung. Ja dürfen’s denn des, Kulturhauptstadt spielen den ganzen Sommer lang.

Den folgenden Satz von Festspielgründer Hugo von Hofmannsthal kann man auch als Mahnung an beide Seiten deuten, an kleinmütige Provinzpolitiker und an eifersüchtige Zentralisten:„Unser Salzburger Festspielhaus soll ein Symbol sein. Es ist keine Theatergründung, nicht das Projekt einiger träumerischer Phantasten und nicht die lokale Angelegenheit einer Provinzstadt. Es ist eine Angelegenheit der europäischen Kultur. Und von eminenter politischer, wirtschaftlicher und sozialer Bedeutung.“

Ich bin jedenfalls 1978 sehr ungern nach Salzburg zurückgegangen, weil mir Journalistin in Wien die Erfüllung eines Lebenstraums zu sein schien. Damals hatte ich mir ja nicht träumen lassen, dass ich den schönsten Job, das großartigste Amt, die herrlichste Position, die Präsidentschaft der Salzburger Festspiele erobern sollte.

Aus bravem Kindverhalten – ja, Sie hören richtig, das hatte ich meiner Mutter gegenüber auch noch mit 30 Jahren – wechselte ich vom KURIER ins Modegeschäft, was sich niemand vorstellen konnte, weil meine Leidenschaft für den Journalismus evident, meine Neigung zur Mode – um es milde auszudrücken – jedoch nicht augenfällig war.

Es wurden schließlich 30 gute Jahre als Unternehmerin. Und auch in diesem Beruf habe ich einiges gelernt, was ich heute als Festspielpräsidentin gut brauchen kann. Menschenführung, um die Mitarbeiterinnen auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören und Dienstleistungsgesinnung. „Der Kunde ist König“, ein Vorsatz, den zu erfüllen die oft recht launischen Könige und Königinnen schwermachen – manchmal auch im Festspielhaus.

Rudolf Sallinger, der mächtige Chef der Wirtschaftskammer, hat dann erkannt, dass die ehemalige Journalistin trotz aller geschäftlichen Erfolge nur zu gerne wieder aufs Wiener Parkett wollte. Ich wurde, gar nicht zur Freude meiner Mutter, Abgeordnete zum Nationalrat. Und bald darauf zunächst Vizepräsidentin und später Präsidentin der Wirtschaftskammer Salzburg.

Diese fast 15 Jahre waren nochmals echte Lehr- und Wanderjahre, in denen ich auch so manchen Erfolg für die Salzburgerinnen und Salzburger heimbringen konnte. Wäre auch einmal eine Erzählung wert...

Heute nur so viel: das wichtigste, was ich aus der Politik mitgebracht habe, ist das Gefühl für die gegenseitige Zumutbarkeit. Mein Freund Erhard Busek hat zurecht des Öfteren darüber gespottet: Der Österreicher sieht den Kompromiss vor dem Konflikt, quasi um sich die mühsame Arbeit der Auseinandersetzung mit der Position des anderen zu ersparen.

Aber der wahre Kompromiss als Resultat des sich Zusammendenkens, des sich Zusammenredens, der gemeinsam erarbeitete Kompromiss als tragfähige Handlungsanleitung, der ist doch eine der großen Errungenschaften der Demokratie. Und diese Übereinstimmung erzielt man nur mit dem Gefühl für die gegenseitige Zumutbarkeit!

In diesem Sinne übe ich seit 23 Jahren das Amt der Präsidentin der herrlichsten Festspiele der Welt aus, um tagaus tagein ein Haus zusammenzuhalten, dessen künstlerisches Ziel selbstverständlich nie der Kompromiss sein soll, sein darf.

Und ich möchte die von mir so verehrte Ingeborg Bachmann zitieren, die ich schon am Freitag in meiner Begrüßung zu Wort kommen ließ: „Wir, die Künstler, haben ja nur ein kleines Metier, ein sehr schönes, freies, und man muss in seinem Metier negieren und dann die Richtung geben. Der große Rest ist allerdings der 'Pragmatismus', für den ich keine Verachtung habe, weiß Gott nicht, aber er gehört ins Geschäft und in die Politik, und wir sind hier, um die Pragmatiker in die Schranken zu weisen und einige wenige würdige Dinge zu vertreten und zu verteidigen. Und die sind absolut, obwohl sie nur unseren Köpfen entsprungen sind, die Konzeptionen der Gerechtigkeit, der Wahrheit, der Freiheit.“

Diesen Appell an die Verantwortung der Künstler, für den Lauf der Welt, diesem Glauben an die Kraft der Kunst, verdanken die Salzburger Festspiele ihre Existenz.

Könnte eine Institution die Ehrenbürgerschaft der Stadt Salzburg erhalten, dann würde sie den Salzburger Festspielen zustehen. Ich nehme sie als Präsidentin an für jene, die seit fast 100 Jahren die Festspielidee – ein europäisches Friedenswerk – alljährlich verwirklichen helfen: Die Künstlerinnen und Künstler, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Bilder: Stadt Salzburg / Niko Zuparic
Zur Meldung Ehrenbürgerin der Stadt

 

 

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