Sein ganz und gar eigener Kopf

TODESFALL / GERHARD WIMBERGER

13/10/16 „Müßiggang ist aller Cluster Anfang“, schrieb er einmal in der für ihn typischen pointierten Art. Gerhard Wimberger war ja keiner, der mit seiner (oft schlechten) Meinung über Komponistenkollegen und mit Kritik am gegenwärtigen Musikleben hinter dem Berg gehalten hätte. – Zum Tod des Salzburger Doyens seiner Zunft.

Von Reinhard Kriechbaum

„Musik für Hörer, nicht für Versteher!“ übertitelte der damals Neunzigjährige einen Gastkommentar für den DrehPunktKultur. Während gerade wieder einmal die Freikarten-Vergabe bei der Salzburg Biennale diskutiert wurde, machte Wimberger sich Gedanken darüber, warum es überhaupt Freikarten braucht, um Neue Musik an den Mann und die Frau zu bringen. In der „konfusen Geschichte der E-Musik“, wie er es damals provokant formulierte, sah er seine eigene Zunft stark involviert.

Genau dreißig Jahre vorher, als Sechzigjähriger, hatte er in einem Beitrag für die „Österreichische Musikzeitschrift“ sein Credo als Komponist formuliert. Da stand unter anderem, er versuche, seine „musikalischen Gedanken selbst so klar zu denken, dass sie auch von anderen verstanden werden“. Das Ziel sei, „die auf mich einwirkenden Kräfte von Tradition, Gegenwart und Fortschritt auszubalancieren und meine Arbeit frei von modischen Attitüden zu halten“.

Die modische Attitüde – das war gewiss kein Vorwurf, den man Wimberger machen konnte. Der streitbare Herr kreuzte selbstbewusst und argumentationsstark mit jenen die Klingen, die ihm bloß mit Modernismen, aber ohne das in seinen Augen und Ohren unverzichtbare handwerkliche Rüstzeug kamen. „Geistige, stilistische und handwerkliche Ehrlichkeit setze ich bei jeder künstlerisch-kreativen Arbeit voraus“, so Wimberger damals – in einer Zeit, da er noch eine Kompositionsklasse an der Universität Mozarteum leitete und dem Direktorium der Festspiele angehörte. „Darüber hinaus ist mir die Ausgewogenheit zwischen Emotionalität des klingenden Ergebnisses und Rationalität der zugrundeliegenden konstruktiven Ordnung stets höchstes Ziel gewesen.“

Gerhard Wimberger wurde am 30. August 1923 in Wien geboren und kam in jungen Jahren nach Salzburg, wo er zwischen 1940 und 1947 am Mozarteum studierte – unterbrochen von Arbeits- und Militärdienst sowie amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Cesar Bresgen und Johann Nepomuk David waren seine Kompositionslehrer, bei Clemens Krauss und Bernhard Paumgartner lernte er das Dirigieren. 1947/48 war er Korrepetitor an der Wiener Volksoper, 1948 wurde er Kapellmeister am Salzburger Landestheater, ab 1953 lehrte er am Mozarteum. Hier leitete er bis 1981eine Dirigentenklasse. Von 1969 bis 1991 war er ordentlicher Professor für Komposition.

Dem Direktorium der Salzburger Festspiele gehörte er von 1971 bis 1991, also in der Karajan-Ära an. Heiliger Zorn erfasste Gerhard Wimberger, wenn er späterhin immer wieder lesen musste, dass die Neue Musik erst in der Ära Mortier bei den Festspielen Einzug gehalten hätte – da nannte er dann relativierende Aufführungszahlen aus seiner Zeit. Aber freilich: Die Komponisten und Werke aus dem 20. Jahrhundert, die er im Auge und im Ohr hatte, entsprachen nicht dem Diktat jener, die dem seriellen Komponieren huldigten und über Jahrzehnte so etwas wie die Meinungshoheit über die Zeitgenössische Musik behaupteten. Wimberger mit entwaffnender Ehrlichkeit bei einer Diskussion im Vorfeld seines 90. Geburtstages 2013: „Sie kennen mich lang, Sie wissen: Ich versuche, dem letztlich uns zahlenden Publikum eine Musik vorzusetzen, die es es nicht veranlasst, Türen schlagend den Saal zu verlassen.“

Er bemühe sich „Vorurteile und Ideologien möglichst auszuschalten und mich nur von kreativer Neugierde leiten zu lassen, jede kompositorisch-stilistische Einseitigkeit zu vermeiden und mir ein weites Feld verschiedener Verfahrensweisen verfügbar zu halten, wie aus Material Musik wird“. Er halte viel „von unprätentiöser Handwerksgesinnung und plädiere immer wieder für eine gesellschaftliche Funktion der Musik“.

Im reichhaltigen Schaffen finden sich musikdramatische Werke, beginnend mit der „Schaubudengeschichte“ Anfang der 1950er Jahre, über „Dame Kobold“ bis zu „Fürst von Salzburg – Wolf Dietrich“. Sympathisierte Wimberger gar mit Salzburgs Kirchenfürsten? Oh nein, seinen Standpunkt kann man nicht nur aus seinem „Oratorium Quaestio Aeterna – Deus. Fragen nach Gott“ (2003) oder der 2013 uraufgeführten „Passion Giordano Bruno“ heraus lesen. Auch in Büchern (etwa „Glauben ohne Christentum. Eine Vision“ 2013) hat Wimberger seine distanzierte Haltung zur Religion festgeschrieben: Ihm schwebte eine „agnostisch-atheistische Religiosität auf dem Boden des Humanismus“ vor. Es beschäftigte ihn eben „…nicht nur Musik“, wie seine 1997 im Verlag Otto Müller erschienene Autobiographie spiegelt.

Zu Gerhard Wimbergers DrehPunktKultur-Gastkommentar
Musik für Hörer, nicht für Versteher!
Zur Porträtserie Offen für die Wahrheit des Wirklichen und
Türenschläger und Zwölftöner
Bilder: dpk-krie