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Aus dem Wohnzimmer in die Barockkirche

TODESFALL / SIR NEVILLE MARRINER

03/10/16 „Ich würde sterben“, sagte Sir Neville Marriner einmal in einem Interview in der FAZ, „wenn ich aufhören würde zu dirigieren.“ Im Sommer hat er hier in Salzburg eine Festspiel-Matinee geleitet, dieser Tage hat er in Padua dirigiert und morgen, Dienstag (4.10.), wäre ein Konzert im Wiener Musikverein angesagt gewesen.

Von Reinhard Kriechbaum

Gestern, Sonntag (2.10.) ist Sir Neville Marriner gestorben. Er wurde 92 Jahre alt. Die Academy of St. Martin in the Fields und Neville Marriner“: ein Begriff im Doppelpack über Jahrzehnte, ein Stück Interpretationsgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Warum bekam das von Neville Marriner gegründete Kammerorchester, das 1959 sein erstes Konzert gab, eigentlich seinen Namen? Die Kirche St. Martin in the Fields am Londoner Trafalgar Square war der Ort der ersten Konzerte. Entstanden war das Ensemble quasi im Wohnzimmer von Neville Marriner: Der am 15. April 1924 in Lincoln geborene Musiker hatte am Royal College of Music und am Pariser Konservatorium studiert. Er war seit 1952 Geiger im London Symphony Orchestra. Er überredete einige Kolleginnen und Kollegen, mit ihm gemeinsam Barockmusik zu spielen. Diese Wohnzimmer-Aktivität erinnert an die Anfänge von Harnoncourt und den Concentus Musicus Wien. Neville Marriner hat sich freilich nie mit der Aufführungspraxis angefreundet. Der eloquente, schlanke Orchester-Stil (nicht nur für Barockmusik) wurde nicht nur Markenzeichen der Academy of St. Martin in the Fields. Es war eines jener Orchester, das mit seinen jovialen Interpretationen gerade die „Early Music“ so recht salonfähig machte.

Anfangs leitete Neville Marriner die Academy vom Konzertmeisterpult aus, das Dirigieren kam mit der Vergrößerung des Ensembles und der Ausweitung des Repertoires. Das Rüstzeug zum Dirigenten holte er sich in Privatstunden bei Pierre Monteux und in Sommerkursen. Gerade in Sachen Mozart wurden Marriners Interpretationen ja bald auch stilprägend, es war kein Wunder, dass man ihn und sein Orchester für die Filmmusik von Milos Formans Oscar-prämiiertem Mozart-Film „Amadeus“ (1984) unter Vertrag nahm. Keiner der acht Oscars ging damals übrigens an die Musik, aber der Soundtrack wurde 6,5 Millionen Mal verkauft.

Wenn man von „seinem“ Orchester spricht, meint man gemeinhin die Academy of St. Martin in the Fields. Neville Marriner hat aber auch das Los Angeles Chamber Orchestra gegründet und ist vielen angesehenen Orchestern als Chefdirigent vorgestanden: Von 1983 bis 1989 war er Chefdirigent des Radio-Sinfonie-Orchesters Stuttgart, eine, wie er selbst sagte, für ihn prägende Zeit. Sir Neville Marriner deckte ja eine breites Repertoire ab, auch die zeitgenössische Musik war ihm nicht fremd. 1979 wurde er zum musikalischen Leiter des Minneapolis Symphony Orchestra berufen.

Die Academy of St. Martin in the Fields war und ist ein Freelance-Orchester ohne fest angestellte Musiker und ohne staatliche Förderung. Dass man sich das leisten konnte, sorgte nicht nur die Aufnahme der „Amadeus“-Filmmusik. Den Popularitäts-Kick schlechthin bekamen das Orchester und sein Leiter 1970 mit der Einspielung von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“.

Schallplatten hat die Academy von Anfang an in großer Zahl aufgenommen, und das war eigentlich einer günstigen Fügung zu verdanken: Im allerersten Konzert nach dem Abendgottesdienst in der Kirche am Trafalgar Square saß eine Managerin, die gerade nach einem Orchester für Barockmusik Ausschau hielt.

In der letzten Mozartmatinee dieser Festspiele (27./28. August) dirigierte Sir Neville Marriner Mozarts Große Es-Dur-Symphonie KV 543, Beethovens „Erste“ und dazwischen ein Mozart-Violinkonzert. Vor allem mit Mozarts frühen Symphonien verdiente Marriner sich einst Meriten. Die von ihm bei der Mozartwoche 1974 dirigierte Oper „Il Rè pastore“ gibt es sogar als DVD.

Bild: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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