Armenische Gefangene sogar in Grödig

UNIVERSITÄT SALZBURG / ZEITGESCHICHTE

07/07/16 Der Papst war jüngst dort und hat sich mit seinem Mitleid für die Armenier und ihre leidvolle Geschichte bei den Türken eher keine Freunde gemacht. Auch die Habsburger könnte man schelten – das deckt man in einem Forschungsprojekt an der Universität Salzburg gerade auf.

Eine leidvolle Vergangenheit kennzeichnet Armeniens Geschichte im 20. Jahrhundert. Allem voran der Genozid, den während des Ersten Weltkriegs, Jungtürken im damaligen Osmanischen Reichs an bis zu 1,5 Millionen Armeniern verübt hatten. Im Schatten dieser tragischen Ereignisse blieb bisher ein anderes dunkles Kapitel unbeachtet, das exakt zur gleichen Zeit geschrieben wurde: die Geschichte der armenischen Kriegsgefangenen in den Gefangenenlagern der k.u.k. Monarchie während des Ersten Weltkriegs. Zeugnis davon gibt das umfangreiche Archiv des österreichischen Anthropologen Rudolf Pöch. Das Archiv war bisher nicht aufgearbeitet. Österreichs einzige habilitierte Armenologin Univ.-Doz. Jasmine Dum-Tragut vom ZECO Zentrum zur Erforschung des Christlichen Ostens an der Universität Salzburg macht sich nun an diese Aufgabe.

„Im Auftrag von Kaiser Franz Josef und der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften (später umbenannt in Österreichische Akademie der Wissenschaften) hatte der damals höchst angesehene Wiener Arzt und Anthropologe Rudolf Pöch in k.u.k. Kriegslagern wie Grödig bei Salzburg, Hart bei Amstetten oder Reichenberg im heutigen Tschechien 5000 russische Kriegsgefangene anthropologisch untersucht. Unter ihnen auch 191 Armenier. Ihrer vergessenen Geschichte gehe ich nach.“

Im Vorfeld der Rassenkunde hatte Pöch die Gefangenen akkurat vermessen, erstaunlich gute Stimmaufnahmen gemacht („Es ist sensationell, wie gut die Phonogramm-Aufnahmen sind“),  gestochen scharfe Fotos geschossen und gut erhaltene Gipsabdrücke angefertigt. Aus den Archivnummern und -daten die Schicksale der Menschen nachzuzeichnen, das hat sich die Forscherin zum Ziel gesetzt.

Im Mai 2016 startete die 51 jährige gebürtige Steirerin, die Ende Juni den goldenen Verdienstorden des armenischen Wissenschaftsministeriums für ihren Beitrag zur Wissenschaft und Bildung erhalten hat, ihre Feldforschungen. „Ich bewege mich in Armenien in den Dörfern auf der Suche nach den Familien und etwaigen Nachfahren. Es ist unglaublich, aber ich habe in den letzten Wochen schon 10 Nachfahren von Kriegsgefangenen gefunden, darunter sogar noch Söhne und Töchter. Wir wollen den Familien das Material, das Pöch angefertigt hat, zurückgeben. Eine Repatriierung ist uns ein großes Anliegen.“

Das Projekt bereichert aber nicht nur die armenische sondern auch die österreichische Geschichte, ist Dum-Tragut überzeugt. „Wir beobachten momentan wieder ein Erstarken des  Nationalismus. Das macht Angst. Leider lernen wir Menschen nichts aus Geschichtsbüchern. Betroffen machen uns nur persönliche Lebensgeschichten. So kann man die Aufarbeitung der oft tragischen Lebensgeschichten der armenischen Kriegsgefangenen auch als einen Weckruf gegen den Nationalismus verstehen. Auch das ist ein Ziel unserer Forschung.“

Es sei ein sehr emotionales Projekt, sagt Jasmine Dum-Tragut. „Es ist berührend, wenn wir – oft in den abgelegensten Bergdörfern – die Kinder oder Enkel der Kriegsgefangenen finden, die uns dann erzählen, was die Väter oder Großväter ihnen nach der Heimkehr von den Lagern und von Österreich erzählt haben. Es sind ja viele Kriegsgefangene wieder in die Heimat zurückgekehrt.“ (Universität Salzburg)

Bilder: privat