Fast ein Treppenwitz der Kulturgeschichte

HINTERGRUND / DOMQUARTIER / WELTERBE (1)

18/04/24 Heute Donnerstag (18.4.) ist Internationaler Welterbetag. Das ist so etwas wie die jährliche Geburtstagsfeier für einen Ort wie Salzburg, wo man rechtens stolz ist, dass auf der Innenstadt seit 1996 die Etikette „Weltkulturerbe“ klebt. Das DomQuartier hat aus dem Anlass eine 3D-Animation in Betrieb genommen, die höchst anschaulich die innenstädtische Baugeschichte vermittelt.

Von Reinhard Kriechbaum

Wer wacht heutzutage nicht aller über unser Weltkulturerbe und sorgt dafür, dass dieses nicht nur in Sonntagsreden schön geredet wird, sondern auch erhalten bleibt! Der strengen Altstadtkommission schauen die noch gestrengeren Wächter von ICOMOS auf die Finger, auf dass ja jeder alte Stein auf dem anderen bleibe und allfällig Neues sich so zaghaft und unauffällig wie nur ins Bestehende einfüge. Gerade jetzt wieder ist eine Diskussion über ein Bauvorhaben am obersten Ende der Sterneckstraße entbrannt – also nicht etwa irgendwo im eigentlich geschützten historischen Zentrum, sondern in der absoluten Gewerbegebiet-Pampa der Stadt hinter dem Kapuzinerberg. Sorgen haben die Leut', möchte man da sagen.

Jedenfalls geht einem, wenn man sich die neu, sehr instruktive 3D-Animation anschaut, durch den Kopf: Wie, wenn es damals all diese Denkmalschützer und -wächter schon gegeben hätte? Wenn solche Gremien dem Fürsterzbischof Wolf Dietrich dreingeredet und ihn ausgebremst hätten? Der romanische Dom, der in Flammen aufging, hätte wohl augenblicklich originalgetreu wiederhergestellt werden müssen. Schwer vorstellbar auch, dass Wolf Dietrich einen Verbindungsgang quer über den Domfriedhof zwischen Alter und neuer Residenz hätte bauen dürfen. Das war so etwas wie ein überirdischer S-Link für die hohe Geistlichkeit, der übrigens nach fünf Jahren schon wieder abgetragen wurde. Man hatte in Salzburg offenbar schon damals ganz wenig Verständnis für rasche Verkehrswege.

Und über die vielen mittelalterlichen Häuser, die im Zuge der Bautätigkeit im geistlichen Zentrum, vom Glockenspielgebäude bis zur Dietrichsruh, vom Toscanatrakt bis zu den Stiftsgebäuden von Sankt Peter dran haben glauben müssen, reden wir gleich gar nicht. Was für eine sagenhafte Mittelalter-Stadt hätten wir unseren Gästen anzubieten, hätten Wolf-Dietrich und seine Nachfolger bloß ein wenig mehr Sinn für Denkmalschutz gehabt. Dass wir unseren Welterbe-Status ausgerechnet jenem Erzbischof verdanken, der demolieren ließ, was das Zeug hielt, ist fast ein Treppenwitz der lokalen Kulturgeschichte. Aber zugegeben: Der Dom und das heutige barocke Drumherum hat schon auch was...

Die Animation wird im linken Dombogen, als im Durchgang zwischen Alter Residenz und nördlichem Domturm, an eine Wand zwischen zwei Fenstern projiziert. In einem Zwölf-Minuten-Loop sieht man, wie reihenweise alte Häuser demoliert werden und die neuen Gebäude in die Höhe wachsen. Das ist höchst instruktiv. Und man kann sogar vorher, nachher und zwischendurch aus dem Fenster schauen und sich davon überzeugen, dass auch in der Realität so gut wie alles bestens erhalten und tadellos in Schuss ist.

Visualisiert wird also die bauhistorische Entwicklung des Residenz- und Dombereichs von der Barockisierung bis zum Ende des Erzstifts. Es ist das Ergebnis einer Forschungsarbeit des interdisziplinären FWF‐Projekts „Bau-, Ausstattungs- und Kulturgeschichte der ehemaligen fürsterzbischöflichen Residenz in Salzburg vom 16. Jahrhundert bis 1803“ an der Universität Salzburg. Da haben Univ.Prof. Gerhard Ammerer, Ingonda Hannesschläger, Walter Schlegel und Roswitha Juffinger zwischen 2006 und 2009 bestehendes Wissen verknüpft und viel neu geforscht. Es ist damals sogar so etwas wie ein analoger Vorfahre der jetzigen 3D-Animation publiziert wurden: ein Papier-Steckmodell zur Baugeschichte von Walter Schlegel.

Mit heutigen technischen Mitteln gelingt die Vermittlung logischerweise viel anschaulicher. Die Animation veranschaulicht die städtebauliche Entwicklung mit Fokus auf Residenz und Dom, unter Mitnahme der umliegenden Bereiche mit dem Stift St. Peter und der Kapitelgasse (Residenz, Verwaltungsgebäude, zentrale Kirchen, Klosterbereich St. Peter, Höfe der Domkapitulare). Die Darstellung umfasst die bauhistorische Entwicklung der Fürstenstadt von Wolf Dietrich von Raitenau (1587-1612) bis Hieronymus Graf Colloredo (1772-1803), also die Zeit der Barockisierung bis zum Ende des Erzstifts Salzburg.

Gebaut haben ja viele: Unter Guidobald Graf Thun entstanden beispielsweise die Dombögen und der neue Residenztrakt (mit dem „langen Gang“) gegen St. Peter. Auch der Residenzbrunnen begann damals – zuerst noch etwas zaghaft – zu tröpfeln.

Unter Fürsterzbischof Harrach bekam das Residenzgebäude seine heutige Hauptfassade zum Residenzplatz hin. Es wäre nicht der aufgeklärte Hieronymus Colloredo gewesen, der letzte und ungeliebte Fürsterzbischof, hätte er nicht auch Hand an die Residenz legen wollen – ihm stand der Sinn nicht nach Repräsentation, sondern nach Wohnungen für seine Angestellten.

Nicht nur die 3D-Animation, auch der Raum selbst ist genauere Blicke wert. Dort standen bisher Möbel des 19. Jahrhunderts, die weggeräumt wurden. Als eine noble „Rumpelkammer“ war dieser Bereich ohnedies meist zugesperrt. Jetzt kann der elegante, helle Raum selbst auf die Besucher wirken, etwa der schöne Marmorboden und die Stuckdecke. Dass die digitale Präsentation der Baugeschichte des Residenzkomplexes in unmittelbarer Nähe zum Anfang des Museumsrundgangs liegt (der beginnt mit dem Carabinierisaal), verschafft Ortskundigen gleich einen guten Überblick zur baulichen Gesamtsituation. (Wird fortgesetzt)

www.domquartier.at
Bilder: DomQuartier / FreshFX