Was Sprache kann...

DOKUMENTATION / FESTVORTRAG SUSANNE SCHOLL

10/12/15 Die Journalistin Susanne Scholl war Festrednerin bei der Verleihung der Kulturpreise des Landes gestern Mittwoch (9.12.) in der Salzburger Residenz. Sie mahnte sehr entschieden ein, die Worte sorgsam zu wählen, wenn man über Fremde spricht, die ins Land kommen. – Ein Auszug aus der Rede.

Von Susanne Scholl

(…) Obwohl die Menschen, die jetzt an unsere europäischen Türen klopfen, auf der Flucht vor Krieg und Elend sind, sprechen viele ihnen heute genau das ab. Sie seien gar keine Flüchtlinge, heist es, sondern „Migranten“.

Meine Eltern konnten tatsachlich „emigrieren“ – also bewusst aus einem Land in ein anderes reisen, um dort zu bleiben. Damals, in Brechts finsteren Zeiten, als die Nazis ihnen nach dem Leben trachteten, hatten sie doch eine sogenannte legale Emigrationsmöglichkeit. Naturlich wurden sie terrorisiert, naturlich gab es große Schwierigkeiten, bevor sie endlich ihr Visum bekamen, um nach England zu „migrieren“. Sie waren Fluchtlinge und Emigranten.

Die Menschen, die jetzt nach Europa kommen, haben nur die Möglichkeit zu rennen. Egal wohin. Es gibt für sie keine legale Moglichkeit, dem Sterben zu entrinnen. Sie sind wahrlich Flüchtlinge im reinsten Sinn dieses Wortes. Und jeder, der sie heute als „Migranten“ bezeichnet, tut das im Bewusstsein, sie damit ihrer Fluchtgründe zu berauben. Sie zu fragwürdigen Personen mit fragwürdigen Intentionen zu degradieren.

Noch ein Beispiel: Wir sprechen von Wellen und Strömen, von Massen. Wellen, Ströme und Massen haben weder Namen noch Gesicht. Und so entmenschlichen wir verbal jene Menschen, deren Schicksale uns, wenn wir sie im einzelnen betrachten, durchaus zu Tränen rühren könnten. Genau das aber soll nicht geschehen. Sie sollen nicht Menschen mit menschlichen Geschichten und daher auch mit allen jenen Menschenrechten sein, die wir für uns in Anspruch nehmen. Sie sollen eine amorphe Masse bleiben, irgendwelche Zahlen, unter denen wir uns nichts vorstellen können.

Wir sprechen von Zäunen, von einer Festung, von der Sicherung unserer Grenzen. Grenzen sichert man mit Zäunen oder auch durch Errichtung einer Festung gegen schwerbewaffnete Feinde, die uns nach dem Leben trachten. Wo ist dieser Feind, wer ist dieser Feind? Indem wir die Sprache missbrauchen, verraten wir alles, was wir so vollmundig als unsere Werte bezeichnen. Denn was sind diese europäischen Werte, die es tatsachlich zu verteidigen gilt?

Vor allem Respekt, Toleranz und Solidaritat. Achtung des Anderen, welcher Hautfarbe, Religion und politischer Ansicht dieser Andere auch sein mag. Achtung jener elementaren Menschenrechte, die im schrecklichen 20. Jahrhundert – und leider bis heute – so oft so vollständig außer Kraft gesetzt wurden. Vor allem das Recht auf ein Leben in Sicherheit und ohne Hunger. Wir hier im reichen Europa bestehen zu Recht auf diesen Werten. Aber beachten wir sie auch? Ich denke, gerade heute – 70 Jahre nach dem Ende jenes menschenverachtenden Krieges, in dem wir Österreicher durchaus mitschuldig geworden sind – sind wir wieder bereit, eben diese Menschenrechte durchaus außer Kraft zu setzen, wenn wir unsere Sicherheit, aber auch unseren Reichtum in Gefahr sehen. Und wir sprechen ganz selbstverstandlich darüber. Denn die Sprache ist die erste Verliererin solcher Gemengelagen, wie wir sie heute erleben. Gleichzeitig aber ist die Sprache auch das wichtigste Instrument, den Menschen die Menschlichkeit auszutreiben.

Es beginnt immer mit der Sprache. Man spricht über eine Gruppe von Menschen als Betrüger, Lügner, Verbrecher – und ist sehr schnell bei der Unterstellung angelangt, eben diese Menschen seien weniger wert als alle anderen. Hand aufs Herz – ist es nicht das, was wir heute schon tun? Wie viele finden es unglaublich, dass Flüchtlinge aus Kriegsgebieten Smartphones besitzen? Wie viele kritisieren von der Höhe ihres sicheren Lebens hier in Europa aus jene Männer, die sich ohne Familien auf den Weg machen?

Wie viele werfen jenen, die ihre Kinder mit auf die Flucht nehmen, vor, sie handelten unverantwortlich? Und dies alles durchaus nicht nur im Gespräch unter Freunden. All dies kann man in unseren Medien lesen und hören, ja auch aus den Mündern unserer gewählten Politiker.

Sprache ist – wie gesagt – ein sehr mächtiges Werkzeug. Gerade deshalb muss sie sehr sorgsam benutzt werden. Gerade deshalb kommt den Schreibenden, den Menschen meiner Zunft also – und ich spreche hier sowohl als Journalistin als auch als Schriftstellerin – eine besondere Verantwortung zu. Denn Sprache kann benutzt werden, um Menschen zu entmenschlichen. Sie kann aber auch benutzt werden, um dem entgegen zu wirken. Sie kann auch dazu verwendet werden, den anderen aus der Anonymität zu holen, ihm ein Gesicht und eine Geschichte zu geben. Und sie kann – oder könnte – als Brücke benutzt werden.

Ja, wer in dieses Land kommt, muss wohl oder übel unsere Sprache lernen, wenn er hier leben will. Was aber hindert uns daran, unsererseits zu versuchen, die Sprachen jener zu lernen, die bei uns Zuflucht suchen? Wann immer ich dieses Thema anschneide, ernte ich empörte Ablehnung. Wie man denn „dazu komme“, eine „dieser“ Sprachen zu lernen, wird mir dann meistens ins Gesicht geworfen. „Die“ seien ja schließlich „zu uns“ gekommen, also sollten sie sich gefälligst anpassen! Aber es geht hier ja gar nicht um Anpassung, es geht um die Frage, wie man als Menschen miteinander umgeht. Und es kann keine Hierarchie in diesem Umgang geben. Jeder Mensch ist gleich viel wert, und auch jede Sprache ist gleich viel wert. Wie reich sind doch all jene, die mehrere Sprachen beherrschen und daher weit über ihren Tellerrand hinaus zu verstehen in der Lage sind. Und doch wehren wir uns wütend, wenn es jemand wagt, zu mehr Sprachstudien zu raten.

Aber vielleicht müssten wir uns nicht so furchten vor den „Fremden“, die da kommen, wenn wir mit ihnen sprechen könnten? (…)

Die Rede im Wortlaut ist nachzulesen im Bericht „Kunst und Kultur 2015“ des Landes, auch online.
Bild: Land Salzburg / Peter Rigaud
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