Endlich Professor!

IM WORTLAUT / WALTER MÜLLER

28/09/23 Der Salzburger Autor Walter Müller ist dieser Tage mit dem Berufstitel Professor ausgezeichnet worden. Bei der Verleihung hat er eine kleine autobiographische Rede gehalten, die wir unseren Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten möchten.

Von Walter Müller

Nein wirklich. Den Titel besitze ich eigentlich schon seit der Volksschulzeit, mit der kleinen Beifügung: „zerstreuter“, „zerstreuter Professor“. Verliehen von meiner Großmutter, der wunderbaren Frau Maria Kafka. Ihr zweiter Mann hieß Franz Kafka, war aber kein Schriftsteller, sondern Lastwagenfahrer und wurde im Zweiten Weltkrieg vermisst gemeldet. Der Krieg hat meiner Großmutter auch beide Söhne gestohlen, meiner Mutter die Brüder, mir die Onkel. Der Jüngere starb mit zwölf Monaten an der Stollenkrankheit, die er sich im Mönchsberg, im Luftschutzkeller zuzog. Der Ältere ist, seit er 17 ½ Jahre alt war, ebenfalls im Zweiten Weltkrieg, in Russland, vermisst. Er wäre nächstes Jahr 100.

Ich bin acht Jahre nach seiner Vermisstmeldung zur Welt gekommen und wurde, zur Erinnerung an ihn, auf seinen Namen getauft: Walter. Meine Großmutter hat erst 1970 aufgehört, auf die Rückkehr des Mannes und des Sohnes zu hoffen. Hoffnung und Trauer waren unsere Familienbegleiter für lange Zeit. Vielleicht hat mich genau das so durchlässig gemacht für alles, was mit den „letzten Dingen“ des Lebens zu tun hat. Vielleicht bin ich deshalb ein leidenschaftlicher Verfechter jeder Friedensbemühung und hab nicht einmal am Rupertikirtag je zum Gewehr gegriffen.

Mein Vater, Maurer von Beruf, den ich auch nicht kennenlernen konnte, von dem ich aber den Familiennamen geerbt habe: Müller, musste als Volksschulkind in den Jahren zwischen den Kriegen gemeinsam mit seinen Geschwistern in der Scherzhauserfeldsiedlung betteln gehen. Diese Armut damals! Vielleicht bin ich deshalb auf der Seite derer, denen es nicht so gut geht, der Belasteten, Seufzenden, Trauernden; vielleicht sind mir deshalb die Straßenzeitungsverkäufer wichtig, ja: auch die eine oder der andere Bettler aus Rumänien oder wo immer gebürtig.

Ein Letztes: Ich bin ja ein waschechter Salzburger. In dritter Generation in dieser Stadt geboren. Ich hab mit vier Jahren beim Kindergartenfaschingsfest in Lehen meine erste Auszeichnung erhalten – als Mozart, für das beste Kostüm. Ein paar Jahre später bin ich als Hirte zum Salzburger Adventsingen gekommen und achte seither darauf, dass es bei uns – das haben wir als Hirten gelernt – nicht klaa, haaß, waaß und Schaas heißt, sondern kloa, hoaß, woaß und Schoaß. Meine Stadt werde ich immer verteidigen, aber mit keiner Waffe, lieber mit Worten. Ich lerne ja täglich dazu. Als einmal im Sommer eine amerikanische Touristengruppe am Residenzplatz einer von zwei Pferden gezogenen Kutsche gewahr wurde und einer von den Yankees frohlockte: „Oh look, horses!“, rief ihm der Kutscher lächelnd vom Bock herab zu: „Jo, hoaß is’! Oba besser: hoaß is’ ois saukoit!!!“

Wissen Sie, wie erhebend das ist, wenn ein einfacher Kutscher beim Vorbeifahren den Hut vor einem, ob Professor oder nicht, lüftet?! Es ist mir jedes Mal eine Ehre!

Ich beende diese Minirede mit einer aufrichtigen Verbeugung und so wie ich gerne meine Reden beschließe: „Gehet hin in Frieden! Kommet her in Frieden! Bleibet hier in Frieden! Gehet, kommet, bleibet – in Frieden!“ Danke!

Walter Müller wurde 1950 in Salzburg geboren. Journalist, Dramaturg, Musikkritiker, Trauerredner; seit 1979 freiberuflicher Schriftsteller. Zahlreiche Literaturpreise, darunter der Ingeborg-Bachmann-Förderpreis, der Rauriser Förderungspreis; ausgezeichnet mit dem Salzburger Stadtsiegel in Silber und in Gold. Er veröffentlichte mehr als zwanzig Bücher, zwei Dutzend Theaterstücke sowie zahlreiche Essays, Drehbücher und Hörspiele
Einige Buchveröffentlichungen: Lasst uns über die Liebe reden (2021), Wenn es einen Himmel gibt (2012) und Kleine Schritte (2010) im Otto Müller Verlag; Alles ist so wie immer - nur du fehlst! (2020) im Tauriska Verlag
Bild: Land Salzburg / Franz Neumayr
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