Der Gemüse-Eintopf der Demokratie

KOMMENTAR

Von Reinhard Kriechbaum

01/11/20 Niemand wird dem Burgtheaterdirektor Martin Kušej widersprechen, der in einer Erklärung zum neuerlichen Lockdown der Kultureinrichtungen schreibt: „Bei allem Verständnis für gewisse Regelungen, sind die erneuten Schließungen für die Kultur eine echte Katastrophe.“ Und er habe Mühe, seinen Unmut zu unterdrücken.

Der Unmut des Burgtheaterdirektors richtet sich dagegen, „in welche Kategorien unsere Arbeit und die Arbeit aller anderen Kulturschaffenden dieses Landes eingeordnet werden“. Theater, Opern, Museen und Konzerthäuser würden „quasi als Freizeitgestaltung definiert und werden mit Spielhallen, Wettbüros, Bordellen und Paintballanlagen in einen Topf geworfen“.

Ja, Martin Kušej hat recht: Die schönsten Blüten der Kultur landen gerade mit recht faulem und stinkigem anderen Gewächs in einem gemeinsamen Korb. Wohlwollend betrachtet, könnte man es so sehen: Der kleinste gemeinsame Nenner zwischen Burgtheater und Bordell ist, dass der Hauptbesucherstrom dorthin zur Abendstunde fließt. Genau diese abendliche Menschenbewegung zu unterbinden ist derzeit das – sehr sinnvolle – Streben der Epidemiologen und der Entscheidungsträger in der Bundesregierung. Es stimmt, dass kein Ansteckungsfall im Burgtheater selbst und auch keiner in irgendeinem anderen Publikumsraum nachgewiesen hat werden können. Etwas böser gesagt: Auch von einem Bordell-Cluster haben wir in den letzten Tagen und Wochen nichts vernommen. Sehr wohl aber haben wir beispielsweise gestern erlebt, wie rundum gefeiert wurde auf Teufel-komm-raus. Menschenmassen haben sich ihre Halloween-Parties nicht madig machen lassen.

O-Ton Martin Kušej: „Kultur ist aber viel mehr, nämlich ein Gut, das von der öffentlichen Hand aus gutem Grund gefördert wird. Sie ist Nahrung für alle, und nimmt eine schützens- und erhaltenswerte Aufgabe für das Gemeinwesen wahr, ähnlich wie Schulen und Universitäten. Und sie ist das notwendige Korrektiv in einer lebendigen Demokratie. Gerade das macht sie natürlich systemrelevant. Dies spiegelt sich im aktuellen Umgang mit der Kultur nicht wider.“

Wenn man sich seitens der Kultur auf Demokratie beruft, dann wird man nicht umhin kommen, dass man „mit Spielhallen, Wettbüros, Bordellen und Paintballanlagen“ in einem Topf landet. Der gemeinsame Topf ist nun mal ein wichtiges Küchen-Utensil der Demokratie, und in der Wahkabine zählen die Stimmen von Burgschauspielern und ihrem Publikum eben so viel wie jene von Prostituierten wie ihrer Kundschaft. Allzu heftig sollte man also die Demokratie-Keule nicht schwingen. Auch nicht, wenn – wie jetzt – die Kultureinrichtungen mit all ihrem Verantwortungsbewusstsein, mit ihren pingelig ausgearbeiteten und eingehaltenen Vorsichtsmaßnahmen tatsächlich die Zeche dafür bezahlen, was die liderlichen Zeitgenossen eingebrockt haben.

In den Unmut der Kulturschaffenden aller Sparten mischt sich gewiss auch Bitterkeit: Man muss unterdessen schon fanatischer Optimist sein, um an die Weltverbesserungs-Fähigkeit der Kultur zu glauben. Noch nie in der Geschichte der Menschheit war die Kultur so breit aufgestellt wie in den vergangenen drei, vier Jahrzehnten. Das Problem ist, dass Kunst – was auch immer für die Breite getan wird – stets nur jene Menschen erreicht, die guten Willens sind.