Vatikanische Sprachenverwirrung

STICH-WORT

17/06/15 Ja früher, da war es einfach: Päpstliche Enzykliken wurden in lateinischer Sprache veröffentlicht und bekamen – siehe „Humanum vitae“ – die ersten Worte als Titel. Und jetzt das: „Laudato si'“!

Von Burkhard Jürgens, Kathpress

So heißt also das neue Ökologie-Lehrschreiben des Papstes, dessen Veröffentlichung unmittelbar bevorsteht. Was ist das für eine Sprache? Italienisch – ja schon. Aber doch auch wieder nicht so ganz. Wir haben es nämlich mit einer babylonischen, pardon, vatikanischen Sprachenverwirrung zu tun.

Der Name der Enzyklika - zu Deutsch „Sei gepriesen“ - ist dem Sonnengesang des Franz von Assisi (1181/82-1226) entnommen. In acht Strophen ruft der Armenapostel mit einem wiederkehrenden „Sei gepriesen, mein Herr“ zum Lob Gottes durch die Schöpfung auf: Bruder Sonne, Schwester Mond, Schwester Wasser und Bruder Feuer, auch Mutter Erde werden so in die Pflicht genommen. Die älteste erhaltene Fassung dieses Sonnengesangs findet sich in einer in Assisi aufbewahrten Handschrift. Der Pergament-Codex mit der Katalognummer 338, gehütet vom Franziskanerkloster neben der Basilika des Heiligen, entstand in der Mitte des 13. Jahrhunderts.

Damals hat es eine italienische Hochsprache in unserem Sinn noch nicht gegeben – diese wurde ja erst Mitte des 19. Jahrhunderts im Zuge der Nationalstaatsbildung aus sehr unterschiedlichen lokalen Dialekten kompiliert. Und die Sprache selbst hat sich im Lauf von einem Dreiviertel Jahrtausend ja auch weiterentwickelt.

Franziskus benutzte die mittelitalienische Umgangssprache seiner Zeit. So hält auch der Codex, eigentlich ein Sammelband mehrerer Texte von und über Franziskus, einfach das gesprochene Umbrisch des Bettelbruders fest: Zuerst heißt es bei ihm „laudato sie“, in den folgenden Strophen steht dann aber „laudato si“.

In der modernen Wiedergabe des Urtextes – immerhin gilt der Sonnengesang als das früheste Werk der italienischen Literaturgeschichte überhaupt – wird das ausgefallene „e“ durch einen Oberstrich gekennzeichnet. Man schreibt also „Laudati si'. So halten es jedenfalls die Sprach-Professoren.

Das entspricht herausgeberischer Praxis. Im Original selbst finden sich als Satzzeichen nur Punkt und Komma sowie Gedankenstriche zur Abgrenzung der einzelnen Strophen.

Zur Zeit des heiligen Franz von Assisi gab einen solchen Apostroph noch gar nicht, er verwendete nur Punkt, Beistrich und Gedankenstrich. Der Apostroph wurde erst von dem französischen Buchdrucker und Schriftschneider Geoffroy Tory (um 1480-1533) erfunden und zusammen mit den Akzenten in die Buchdruckkunst eingeführt.

Papst Franziskus, der beim Sprechen gerne Anklänge an den Genueser Dialekt seiner Vorfahren und spanisch-argentinische Einsprengsel ins moderne Hochitalienisch einfließen lässt, stößt sich wohl nicht an der idiomatischen Besonderheit. Ihre liebe Not haben jetzt dafür die Nachrichtenagenturen. Viele Medien verzichten auf den kleinen hochgestellten Strich, andere schreiben „sii“. Weil bei einer korrekten Zitierweise des Titels drei Oberstriche aufeinanderfolgen würden (Apostroph plus Abführung), lassen die deutschen Agenturen das Häkchen hinter dem "si" in der Regel weg. Im heutigen Italienisch lautet der Kehrvers des Sonnengesangs "Lodato sii"; die Schreibweise "Laudato sii" für die Enzyklika ist demnach eine Mischform.

Jedenfalls falsch wäre die Großschreibung des „Si“. Zwar schwankt die Praxis in der Geschichte der Enzykliken seit 1740, als Faustregel kann aber gelten: Mit einem Versal beginnen außer dem ersten Wort nur Eigennamen oder Gottesbezeichnungen. Demach also: „Aeterna Dei sapientia“ (Gottes ewige Weisheit, 1961) und „Ad Petri cathedram“ (Auf den Stuhl Petri, 1959), aber „Ut unum sint“ (Dass sie eins seien, 1995).

Bild: Wikipedia