Verschiedene Züge

FESTSPIELE / QUATUOR POUR LA FIN DU TEMPS

21/07/21 Da sinnierte also der Amerikaner Steve Reich über sein Glück, die frühen 1940er Jahre als jüdischer Bub nicht im gefährlichen Hitler-Deutschland, sondern in den USA verbracht zu haben. Different Trains eben.

Von Reinhard Kriechbaum

Während jene Bedauernswerten in Viehwaggons in Richtung Auschwitz verfrachtet wurden, für sie der Zug also nur in eine Richtung fuhr, reiste Steve Reich oft zwischen Ost- und Westküste hin und her. Begleitet vom Kindermädchen. Es ist eben nicht egal, wann und wo und welches Milieu man hineingeboren wird.

Es fehlt nicht an Musik-Mahnmalen in der Ouverture spirituelle der Festspiele. In diesen Tagen folgen die berühmtesten Stücke Schlag auf Schlag. Am frühen Dienstagabend (20.7.) im Mozarteum noch einmal das finnische Ensemble Meta4, diesmal eben mit Different Trains für Streichquartett und Tonband. Wort-Fetzen werden, im Sinn der Minimal Music, wiederholt, von den Streichern aufgegriffen. Im Endlos-Loop wird (im ersten Satz) eine Interkontinentalreise zwischen New York und Los Angeles suggeriert. Im zweiten Satz wird die Deportation in Vernichtungslager in den von den Nazis besetzten polnischen Gebieten ausgemalt. Und im dritten Abschnitt „After the War“, heißt es fast ungläubig: „And the war was over.“ – „Are You sure?“

Steve Reichs Stück von 1988 ist ein Solitär in der neueren Streichquartett-Literatur. Beinah zwingend, es mit Olivier Messiaens Quatuor pour la fin du temps aus dem Jahr 1941 zusammen zu bringen. In einem der Züge Richtung Osteuropa, genau: nach Görlitz, saß nämlich (als französischer Kriegsgefangener) Olivier Messiaen. Dort hat ihn ein wohlmeinender Lageraufseher mit Notenpapier versorgt, und so entstand dieses erratische Stück. Es wurde dort sogar uraufgeführt.

Am Klavier ist in diesem Konzert kurzfristig Francesco Piemontesi für Alexander Lonquich eingesprungen. Was tut schon der furchterregende Danse de la fureur, pour les septs trompettes (ein Bild aus der Apokalypse), wenn auf der anderen Seite Alina Ibragimova (Violine), Jörg Widmann (Klarinette) und Nicolas Altstaedt (Violoncello) in ihren Soli der Vokalise des Engels, dem Glauben an die Ewigkeit und Unsterblichkeit Jesu Ausdruck verleihen?

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli