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Männer in Waffen

FESTSPIELE / L'HOMME ARMÉ

20/07/21 „In tempore belli“, in Zeiten des Krieges. Das steht so nicht nur im (originalen) Titel von Haydns Paukenmesse, die man am kommenden Wochenende (24./25.7.) bei der Ouverture spirituelle wird zu hören bekommen. Es steht genau so auch, mit dem Datum 13. März 1970, hinter dem letzten Takt von George Crumbs Black Angels.

Von Reinhard Kriechbaum

Das ist also 51 Jahre her. Am amerikanischen Selbstbewusstsein nagte das Vietnam-Trauma. Die Zeit der Entstehung und die von den dreizehn Satztiteln geweckten hoch spirituellen Assoziationen – das brachte und bringt die Gedanken nicht nur von Programmheft-Textschreibern auf Trab. Da darf der rabiat schneidende Beginn (Night of the Electric Insects) schon an Kriegsgerät denken lassen und Überschriften wie Pavana Lachrymae oder Sarabande de la Muerte Oscura oder das Schubert-Zitat (Der Tod und das Mädchen) sind leicht zu deuten als Klage über Kriegsgräuel.

Wie alle gute Musik – Black Angels gehört ohne Zweifel in den Kanon der Schlüsselwerke des 20. Jahrhunderts – sind solche Zuschreibungen und Auslegungen aber bestenfalls eine Hälfte der künstlerischen Wahrheit. Black Angels gehört schon deshalb zu den monolithischen Blöcken des Genres Streichquartett, weil hier Spiel- und Ausdrucksmöglichkeiten ausgelotet werden, nicht als „Versuchsanordnung“, sondern als schlüssige Lösungen. Genau das hat man am Montag in der Kollegienkirche durch das finnische Quartett Meta4 erleben dürfen. Die denkbar schlüssigste Balance zwischen Klangsinnlichkeit und Expressivität. Wie gediegen da jeder Bogenstrich über die beiden Tamtams das akkurate Gewicht bekam zu den gestrichenen Saiten (was natürlich für die gestrichenen Weingläser genau so gilt), wie dezent die anderen Klangwerkzeuge (etwa die Minirasseln) und die vokalen Laute eingebracht wurden – das hatte jenseits aller Kriegs-Assoziationen höchste sinnliche Überzeugungskraft.

Wie in mehreren Konzerten der Ouverture spirituelle wurde das Zeitgenössische mit Altem konfrontiert. Das famose Vokalquartett Cinquecento ist für die eigentlich geplanten englischen Tallis Scholars eingesprungen, hat das geplante Programm übernommen, das da hieß L'homme armé. Das war im ausgehenden Mittelalter, in der frühen Renaissance das, was man heute einen „Hit“ nennen würde. Die Melodie hatten alle im Ohr. Und es war in der Kirchenmusik bis in den frühbarock hinein gängige Praxis, solche Melodien, auf Mottetten-Anfänge in Messvertonungen zu zitieren. „Parodiemesse“ ist der Fachausdruck dafür. Egal ob geistliche oder weltliche Melodievorlagen – die Komponisten boten mit dem vertrauten ihren Hörern „Einstiegshilfen“, entwickelten an den Modellen ihre eigene Kunstfertigkeit. Im Gegensatz zu George Crumb wäre Josquin Desprez aber vermutlich nie auf die Idee gekommen, am Ende der Partitur seiner Missa L'homme armé super voces musicales „in temproe belli“ zu schreiben. Das gegen Ende des 15. Jahrhunderts entstandene Stück birgt manche satztechnischen Besonderheiten, Zahlensymbolik und dergleichen – aber eine Absage an den Krieg hinein interpretieren zu wollen, wäre schon sehr weit hergeholt. Auch da gilt: es ist kunstvollste Musik weit über einen „Anlass“ hinaus.

Die unglaublichen kompositorischen Kniffe Josquins bekommt man hörend ja kaum mit. Schier atemberaubend, mit welch schlichter Selbstverständlichkeit die Mannen von Cinquecento gerade die drei Agnus-Varianten, in denen Josquins Tonsatzkunst kulminuiert, umgesetzt haben. Beeindruckend aber auch die umgebenden Vokalwerke, etwa Josquins wundersam sich rundendes Stabat Mater dolorosa oder Robert Mortons Il sera pour vous conbatu, eine Spätblüte der Isorhythmischen (also mittelalterlichen) Motette, in der mehrere Textebenen übereinander liegen. Die Unterstimme singt wacker L'homme armé.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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