Dem Marmor fehlt's am Leben

FESTSPIELE / SOLISTENKONZERT SOKOLOV

05/08/20 Des großen, des hochverehrten, Pianisten Tendenz zum Statuarischen im Auftreten scheint sich mit den Jahren auch im Interpretatorischen niederzuschlagen. Grigory Sokolov widmete seinen traditionellen Auftritt im Großen Festspielhaus Mozart und Schumann. Auch im Corona-Modus der Konzerte ohne Pause füllten die Zugaben eine „dritte“ Konzerthälfte“.

Von Heidemarie Klabacher

Seit Jahren erlebt man Grigori Sokolov als Meister des Ebenmaßes, der alle Töne gerundet zu eleganten Perlenketten zu fädeln weiß. Im Falle von Wolfgang Amadeus Mozarts

Präludium (Fantasie) und Fuge C-Dur KV 394 wurden die Perlen allerdings zu marmornen Murmeln, „Schussern“, wie sie einst als Schiffsballast verkauft wurden. Besonders die Fuge, mit ihren immer wieder aufwärts drängenden Linien, ist keineswegs so akademisch, wie Sokolov sie im Großen Festspielhaus exekutiert hat.

Wie wenig Ebenmaß das Maß aller Dinge ist, zeigte sich auch in Sokolovs Interpretation der Sonate für Klavier A-Dur KV 331 Alla Turca. Die Variationen über das wiegende Thema des ersten Satzes waren einander in Dynamik und Agogik zu ähnlich, als dass unter der oberflächen-versiegelten Grundhaltung deren betörende Tiefe zur Wirkung gekommen wäre. Im dritten Satz Alla turca. Allegro, der meist mit Getöse und klingendem Spiel daherkommt, wirkte das trotzige Gleichmaß dagegen fast schon aufmüpfig. Und bei den tiefen Trillern ließ Grigory Sokolov den Steinway scheppern, wie ein altes Kinoklavier.

Mit zwingender Sogwirkung aufgebaute Linien, Momente bewegten Staunens, gab es erst im Rondo für Klavier a-Moll KV 511. Das keineswegs düstere, sondern von Herbst- und Trauerfarben überschattete Meisterwerk gestaltete Meister Grigori Sokolov mit delikater Sfumato-Technik. Diese kam auch einigen von Robert Schumann Bunten Blättern op. 99 zu gute. Immerhin der zweite Block der insgesamt 14 Pretiosen, daraus ganz besonders der Marsch Nr. 11 und die Abendmusik Nr. 14 waren Charakterstücke mit allen Farben, Lichtern und Schatten der Romantik.

Beeindruckend, wie immer bei Sokolov, die „dritte Konzerthälfte“ mit sechs Zugaben von Brahms' Intermezzo op. 118/2 über Chopin und Scriabin bis zu Johann Sebastian Bachs Choral Prelude Ich ruf’ zu dir, Herr Jesu Christ BWV 639. Dem ist zu Festspielzeiten im Corona-Modus nichts hinzuzufügen.

Bild: SF / Mary Slepkova/DG