Anschläge auf die Möglichkeit des Trostes

FESTSPIELE / IGOR LEVIT / BEETHOVEN-ZYKLUS

03/08/20 Das Wunder von Salzburg mag sein, dass die Festspiele stattfinden. Das ist irdischer Tüchtigkeit geschuldet. Wahre Wunder haben was Überirdisches. Solche bot im Übermaß der Pianist Igor Levit schon am ersten Abend seines achtteiligen Beethoven-Zyklus mit den 32 Klaviersonaten des „Jahresregenten“.

von Heidemarie Klabacher

Beinah noch vor dem Pianisten erhob sich das Publikum zur Ovation. Dass Igor Levit Maßstäbe setzt für die künftige Beethoven-Interpretation steht bereits nach dem ersten seiner acht Konzerte im Haus für Mozart fest. Levit eröffnete den Jahrhundert-Zyklus mit Beethovens tatsächlich erstem Beitrag zur Gattung, der Sonate für Klavier Nr. 1 f-Moll op. 2/1.

Schon mit dem „Erstling“ demonstrierte Levit, dass Beethoven auf einem Höhenrücken begonnen hat, dem spätere Sonaten Gipfel um Gipfel hinzufügten, von denen die legendären wie op. 111 die Achttausender-Marke weit überschreiten. In der Interpretation eines Igor Levit war Sauerstoff schon bei der Nummer 1 erforderlich: In der Interpretation eines Igor Levit war Sauerstoff schon bei der Nummer 1erforderlich: Das ätherische, von irgendwo weither herüberwehende Adagio ließ ebenso den Atem anhalten, wie das selbstbewusste, weite Räume und Länder in Besitz nehmende Prestissimo, in welches Levit mit schier gewalttätigem Furor unverrückbare Marksteine schlug.

Was für ein betörender Kontrast zur ganz und gar „schubertisch“ daherkommenden Sonate Nr. 12 As-Dur op. 26, in der Levit von den facettenreichen Variationen des Kopfsatzes bis hinab in den Abyss des Trauermarschs für einen Helden eine einzige stringente Linie zog. Hier ließ die technische Brillanz, der keine Grenzen des Machbaren gesetzt sind, erneut den Atem anhalten: Todtrauriger und zugleich trostvoller Marcia funebre-Sound schnellt in die Höhe mit gewalttätigem Impetus. Jeder Anschlag ein Anschlag auf die Möglichkeit des Trostes.

Mit der Waldstein-Sonate Nr. 21 C-Dur op. 53 setzt Beethoven Sonatenschaffen auch formal einen Markstein. Igor Levit gestaltet den weit ausgreifenden „romantisch“ durch Wald und Flur irrlichternden ersten Satz mit seinen Lieblichkeiten und Abgründen zu einem großen Ganzen und stellt es dem monumentalen Rondo gegenüber, das markante Themen verwandelnd in kostbarstes Glas oder gehärteten Damaszenerstahl. Material jedenfalls geeignet, ins Herz zu zielen. Ein kleines Atemholen erlaubte die Sonate Nr. 25 G-Dur op. 79, von Beethoven Sonatine genannt, der Igor Levit eine betörend lockere und zugleich stupend virtuose Lesart schenkte.

Die weiteren Konzerte im Haus für Mozart 3., 5., 8., 12., 15. ,17. und 21. August
Alle Termine von Igor Levits Beethoven-Zyklus werden als ARTE Concert, teils live zeitversetzt, übertragen - www.salzburgerfestspiele.at/uebertragungen
Bilder: SF / Marco Borelli