„Ein Kunstding von Weltrang“

ERZDIÖZESE / FESTSPIELE / GESCHICHTE

22/07/20 Für heutige Salzburger ist Ignaz Rieder der Name eines Kai-Abschnitts oder der Name einer Obusstation. Ignatius Rieder (1858–1934) war Salzburger Erzbischof in jener Zeit, als die Festspiele begannen, also das erste Mal der Jedermann vor dem Dom aufgeführt wurde.

So selbstverständlich war das damals nicht, denn ursprünglich war die Felsenreitschule als Jedermann-Aufführungsstätte angedacht. Von dem kunstsinnigen und aufgeschlossenen Kirchenfürsten wird die Aussage kolportiert, dass ihm „ein guter Jude wie Reinhardt lieber ist, als ein schlechter Christ“. Daran und eben an die Rolle von Ignaz Rieder – das Bild zeigt ihn in einem kleinformatigen Pastell, gemalt 1923 von Anton Faistauer (1887–1930) – erinnert  Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler in einem Kommentar zum 100-Jahre-Jubiläum der Festspiele, erschienen im Rupertusblatt, der Wochenzeitung der Erzdiözese.

In einem Schreiben vom 16. Juli 1920 bat Max Reinhardt den Salzburger Oberhirten um Erlaubnis, auf Grund einer Einladung der Salzburger Festspielhaus-Gemeinde […] das alte geistliche Spiel von Jedermann auf dem Domplatz inszenieren zu können. „Die Aufführung, an der viele der besten deutschen Schauspieler mitwirken werden, soll auf dem Domplatz vor Einbruch der Dunkelheit, etwa um viertelsieben beginnen, sodaß es um halb acht zu Ende sein kann.“

Reinhardt machte dem Erzbischof ein Lockangebot: „Der Ertrag soll seitens der Festspiel-Gemeinde verschiedenen wohltätigen Zwecken zugeführt werden. Die Darsteller und selbstverständlich auch ich haben in Anbetracht des guten Zweckes ihre Mitwirkung unentgeltlich zugesagt.“

Darauf ist Ignaz Rieder eingestiegen. Am 21. Juli, also nur fünf Tage nach dem Bittschreiben von Festspielgründer Max Reinhardt, erteilte der Erzbischof die Genehmigung mit der Auflage, den Reingewinn Kriegsinvaliden, -waisen und -gefangenen zukommen zu lassen. Er gestattete darüber hinaus die Nutzung der Domorgel und am Ende des Stücks, wenn Jedermann gerettet wird , erlaubte er die Kirchenglocken zu läuten. „So wurde tatsächlich, im Sinne Reinhardts, die ganze Stadt zur Bühne“, schreibt Helga Rabl-Stadler im Rupertusblatt.

Der derzeitige Erzbischof Franz Lackner weist auf die gute Zusammenarbeit zwischen Festspielen und Salzburger Kirche hin: In einem Statement zitiert er Rilke, der einmal schrieb: „Kunstdinge sind ja immer Ergebnisse des In-Gefahr-gewesen-Seins.“ Die ganze Welt sei in Gefahr gewesen, so Lackner, als der Erste Weltkrieg wütete. „Europa war in Gefahr, als aufgeteilt und zerteilt wurde. Unser Land war in Gefahr, als die Monarchie zerbrach und Neues sich erst konstituieren musste. Das ist die geschichtlich-geografische Herkunft der Salzburger Festspiele – ein Kunstding von Weltrang. Auch die Welt von heute ist in Gefahr, vieles bedrängt und bedroht uns. Soziologen raten in Anbetracht der mannigfaltigen Herausforderungen und Bedrohungen zu einer neuen und vertieften Nachdenklichkeit.“

Bei der Erstaufführung im Jahre 1920 wurde am Schluss, nachdem die Tragödie doch zu einem guten Ende gekommen ist, nicht geklatscht. „Es herrschte eine Atmosphäre der Betroffenheit und Nachdenklichkeit“. Seit jeher seien die Festspiele Orte des Nachdenkens, der Reflexion und der Selbstbesinnung. Sie hätten sich dem Anliegen verschrieben, das – noch einmal mit Rilke gesprochen – lauten könnte: 'Lebe die Frage!'"

Die Festspielpräsidentin hakt bei Max Reinhardt (im Bild: eine Zeichnung von Emil Orlik) ein, für den „die Kirche, insbesondere die katholische, die wahre Wiege des modernen Theaters“ gewesen sei: „Das Festliche, Feiertägliche, Einmalige, das alle Kunst hat und das auch das Theater zur Zeit der Antike hatte und auch zur Zeit, da es noch in der Wiege der katholischen Kirche lag“, so Max Reinhardt, „das muss dem Theater wiedergegeben werden.“ Klar, dass das Sinnliche einem Theatermenschen wie Reinhardt nicht fern lag: „Wie ein Stück in unsrer Zeit lebendig gemacht wird, das ist für uns entscheidend. Die katholische Kirche, deren Ziele die höchsten, die geistlichsten, die übernatürlichsten sind, verfolgt diese Ziele mit Mitteln, die sich direkt an unsere Sinne wenden.“

Da trafen sich also wohl die Vorstellungen des Festspielgründers und des Erzbischofs, über den Helga Rabl-Stadler im Rupertusblatt schreibt: „Ohne die tatkräftige Unterstützung von Erzbischof Dr. Ignatius Rieder wäre am 22. August 1920 der Jedermann auf dem Domplatz nie in Szene gegangen.“

Helga Rabl-Stadler erinnert auch an Hofmannsthals Calderón-Adaption Das Salzburger große Welttheater. Hofmannsthal habe in der Kollegienkirche den idealen Ort für sein Mysterienspiel gesehen und im Gegenzug versprochen, gleichzeitig die Reparaturarbeiten in Auftrag zu geben. „Max Reinhardt verzichtete auf sein Honorar, Hugo von Hofmannsthal widmete seine Tantiemen je zur Hälfte der Renovierung der Kollegienkirche und der Festspielhausgemeinde, sodass die Kirchenerneuerung zu je einem Drittel aus Hofmannsthals Tantiemen, Mitteln der Festspielhausgemeinde und aus staatlichen Geldern finanziert wurde. Eine schöne Tradition, die wir mit Benefizaktionen für unsere kirchlichen Spielstätten Dom, Kollegienkirche und St. Peter fortgeführt haben.“ (Erzdiözese/dpk-krie)

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