Wie in alten Zeiten

FESTSPIELE / CAMERATA / LORENZO VIOTTI

18/08/19 Ihr drittes Festspielkonzert diesen Sommer wäre so recht nach Geschmack von Camerata-Mentor Sándor Végh gewesen. Spielte das Orchester doch, von Lorenzo Viotti dirigiert, primär Ungarisches, mit vollem Einsatz, so als ginge es ums Leben. „Teufelsklarinettist“ Andreas Ottensamer lieferte das solistische Sahnehäubchen.

Von Horst Reischenböck

Seit dem Gewinn des Young Conductors Award der Festspiele vor vier Jahren ist der gebürtige Schweizer Lorenzo Viotti kein Unbekannter für die Camerata Salzburg. Für den Beginn des Konzerts am Samstagabend (17. 8.) wählte er Béla Bartóks Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta Sz 106. Dazu postierten sich die vierzig Streicher auf dem Podium des Großen Saals im Mozarteum zu beiden Seiten des Klaviers, um das gefordert thematische Wechselspiel zweier Gruppen perfekt stereophon vor Ohren auszubreiten.

Bartók lehrte in den späten 1920er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Sommer in Mondsee. Das bot ihm Gelegenheit, Mozarts Geburtshaus zu besuchen. In ihm sah er die ideale Verbindung kontrapunktischer und homophoner Ideen, wie Bartók sie dann im innerhalb seines eigenen Schaffens singulär eröffnenden Andante tranquillo verwirklichte. Eine vom Aufbau her komplex sechsstimmige Fuge mit empfindsam fragil chromatischem Thema, das Viotti linear aus dem Nichts heraus aufsteigen ließ, steigerte und unter seinen Händen wieder sanft entschweben ließ. Genauso vertiefte er sich nach dem anschließenden Allegro ins Adagio, in dem der Dirigent Ferenc Fricsay einst „unheimliche, körperlose, gespenstische Schatten, Musik der Verzweiflung, der Angst vor dem Kommenden“ erkannte. Derartige Gedanken aus unmittelbarer Zeit des Entstehens wischte Viotti dann vital mit der Oberhand gewinnenden Lebensfreude des stürmischen Finales beiseite.

In mehr oder minder für die Camerata wieder normaler Orchester-Aufstellung ging‘s nach der Pause ins Erste Klarinettenkonzert in f-Moll op. 73 von Carl Maria von Weber. Die technisch anspruchsvollen Soli verlangen auch heute noch absoluten Top-Könnern wie Andreas Ottensamer aus der Wiener Klarinettisten-Dynastie alles ab: vom Orchester angefacht virtuose Läufe über alle Register hinweg, dann träumerisch versponnen bis in nahezu unhörbare Pianissimi hinein auf dem „süßen Hölzl“ perfekt ausgesungene Kantilene einer Opernszene und zuletzt geistreiche Sprünge durchs abschließende Rondo.

Stürmischer Applaus, die „Zugabe“ war von vornherein im Programmheft fixiert: Stephan Koncz, österreichisch-ungarischer Abstammung, komponierte für Ottensamer (jetzt Soloklarinettist bei den Berliner Philharmonikern) eine durchaus romantisch angehauchte Ungarische Fantasie nach Themen von Weber, ausgehend von dessen Oper Der Freischütz. Vielfältig abgestuft nochmals gesteigert virtuoseste Variationen über eine Begleitung, in der es gehörig „brahmselt“.

Dass die Camerata selbst auch einen exzellenten Klarinettisten in eigenen Reihen besitzt, bewiesen zum Abschluss die ob ihrer anspringenden Rhythmik und eingängigen Melodik immer wieder spontan wirksamen Galántai táncok (Tänze aus Gálanta) von Bartóks Zeitgenossen Zoltán Kodály. Viottis Hände entfachten darin, vom Orchester hingebungsvoll umgesetzt, ein brillantes Feuerwerk. Als perfekter Rausschmeißer zeitigte Johannes Brahms‘ Erster Ungarischer Tanz in g-Moll Standing Ovations und rundum beglückte Gesichter.

Die erste Konzerthälfte im Hörfunk: 3.9., 19.30 Uhr, Ö1
Bilder: SF / Marco Borrelli