Die Romantik will nicht sterben

FESTSPIELE / KAMMERKONZERT

11/08/19 „Vom Weiterleben der Romantik“ nennt Volker Rülke seinen Einführungsartikel zum Konzert im Großen Saal am 9. August. Ja, das wäre doch einmal ein Festspielmotto! In der Reihe Zeit mit Enescu bewiesen diesmal der Geiger Renaud Capuçon und seine ebenso hochkarätigen Musizierpartner, wie lebendig Spätromantik sein kann.

Von Gottfried Franz Kasparek

Spätromantik? Neoromantik? Expressionistisch aufgeladene Romantik bei Enescu? All dies sind Schubladen, in welche große Komponisten nicht recht passen wollen. Letztlich geht es um eine musikästhetische Haltung, die sich dem Serialismus und Co. zum Trotz auf Parameter wie Melodie und Rhythmus, auf kreativen Umgang mit Tradition und Folklore beruft und der Emotion ihren Platz gewährt. Im sonst klugen Programmartikel ist die Rede davon, dass dies „in der Regel“ zu „blutleerem Akademismus“ führe. Fauré und Enescu seien lobenswerte Ausnahmen. Mit Verlaub, man kann über die Bedeutung von Magnard, Korngold, Zemlinsky, Wolf-Ferrari, Arnold Bax, Eduard Tubin und vieler anderer trefflich diskutieren, aber blutleer akademisch ist deren Musik zweifellos nicht. Die so genannte Regel gilt in Maßen für die zu Recht Vergessenen. Und sie gilt ohnehin mehr für die andere Seite. Blutleerer und akademischer als manche Zwölfton-Kleingeister kann kein Romantiker komponieren.

Treffend ist freilich die Charakterisierung von Gabriel Faurés versponnener 2. Violinsonate in e-Moll op. 108 als „lyrisches Linienspiel“. Ein Alterswerk von 1917, welches vor dem Grauen des Ersten Weltkriegs in eine bessere Traumwelt der Klänge flieht. Und warum nicht. Kunst darf eine Vision sein. Moll kann verstörend, aber auch tröstlich schön sein. Renaud Capuçon spielt das mit dezenter Poesie und exquisitem Feingefühl, er spricht gleichsam seine französische Muttersprache, mitteilsam begleitet vom famosen Kammermusik-Pianisten Nicholas Angelich.

Johannes Brahms und seine 3. Violinsonate d-Moll, ebenfalls ein op. 108 und so gar nicht voll reifer Altersabgeklärtheit, sondern dramatisch spannend und voller Leidenschaft – ist das nun Hoch- oder Spätromantik? Egal, es ist große Musik, die direkt ins Herz trifft. Capuçon und Angelich spürten den Schönheiten in der offensiven, mitunter aggressiven Musik mit Hingabe nach – wahrlich betörend gelang dies im ausdrucksvoll „gesungenen“ Adagio.

„Komponieren im Auftrag des Herzens“ wollte George Enescu, was ihn gleich in schroffen Gegensatz zur Avantgarde brachte, obwohl seine originelle Musiksprache, ähnlich der eines Sibelius oder Bartók, bei aller tonalen Gebundenheit weit in klangliches Neuland vorstößt. Das späte a-Moll-Klavierquintett entstand 1940 in Rumänien. Auch in diesem Fall könnte man fragen, wie man mitten im Zweiten Weltkrieg so prachtvolle poetisch-expressive Musik schreiben kann. Man darf und kann, wenn man kann. Die Trauer liegt in dem über 40minütigen Werk im Detail. Ein seltsam verschlungener, in Arabesken zusammenklingender erster Teil, der oft nicht von der Stelle kommt und eben dadurch meditative Kraft hat. Enescu, obwohl selbst brillanter Geiger, setzt die fünf Instrumente symphonisch und meist orchestral ein. Der zweite Teil, folkloristisch durchpulst, ist ein aufregend doppelbödiger, mit größter Kunstfertigkeit gestalteter, dabei aber urtümlich mitreißender Tanz. Renaud Capuçon, der zweite Geiger Guillaume Chilemme, der Bratscher Adrien La Marca, der Cellist Edgar Moreau und Nicholas Angelich am Flügel spielten das schwierige Stück mit Präzision und Herzblut. Großer Jubel und, richtiger Weise, keine Zugabe.

Bild: SF / Marco Borrelli