Nacht- und Taggedanken

FESTSPIELE / QUATUOR ÉBÈNE

02/08/19 Zum Auftakt der diesjährigen Kammerkonzerte bescherte das französische Quatuor Ébène Streichquartett-Fans ein „Sandwich“ besonderer Art und verpackte zwischen die Giganten Brahms und Beethoven ihren Landsmann Dutilleux. Längst anerkannt Klassiker der Moderne.

Von Horst Reischenböck

Es war, anspruchsvoll fordernd, weit über das rein Genießerische hinaus reichende Kost, die am Donnerstag (1.8.) im Großen Saal des Mozarteums geboten wurde. Allen drei Komponisten ist ein selbstkritischer, ja skrupulöser Umgang mit Form und Materie eigen.

Von Selbstzweifeln geplagt, vernichtete Johannes Brahms nicht nur seine Arbeitsskizzen, um sich nicht in seine Werkstatt schauen zu lassen. Er ließ auch von ihm vermeintliche „Jugendsünden“ verschwinden, obwohl ihm Robert Schumann beispielsweise zur Veröffentlichung eines frühen h-Moll-Streichquartetts in h-Moll geraten hatte. Auch an dem von ihm dann sanktioniert offiziell ersten Quartett in c-Moll op. 51 Nr. 1 feilte Brahms über Jahre, gar Jahrzehnte hinweg.

Seit zwanzig Jahren gibt es das „Ebenholz Quartett“ (so die Übersetzung des Namens). 2004 machte es durch den Gewinn des ARD-Wettbewerbs international auf sich aufmerksam, seit 2017 zählt Bratscherin Marie Chilemme zum Ensemble.

Primarius Pierre Colombet vereinte sich von Anfang an mit Gabriel Le Magadure (2. Violine) leidenschaftlich in Brahms‘ mit Abstand wohl ernsthafteste, weil selbst zuletzt durchaus nicht positiv aufhellende Kammermusik-Komposition. Die beiden führten aus dem Nichts aufflackernd auf der Basis von Raphaël Merlins sonorem Cello durch mehrere Anläufe in die vorerst kämpferische Tragik hinein. Subtil zurückhaltend entfalteten die Vier danach die vornehmlich eher düster, nachdenklich eingetrübte Romanze, die sich thematisch vom ersten Allegro ableitet. Wie gedacht graziös kontrapunktierte dann die Viola das im Zusammenhang zeitlich noch ausgedehnter auch wieder mehrheitlich melancholische Intermezzo (es steht an Stelle eines Scherzo), bevor das in Brahms‘ typischer Ökonomie der Mittel ebenfalls auf den Kopfsatz fußende Finale letztlich in Ausweglosigkeit ausuferte.

Trotz des biblischen Alters, das er erreicht hat, blieb der schöpferische „Output“ von Henri Dutilleux (1916-2013) überschaubar. Um als 60jähriger sein einziges Streichquartett mit dem für ihn charakteristisch poetischen Titel „Ainsi la nuit“ abzuschließen, hatte er sich intensiv mit Ludwig van Beethoven, Béla Bartók und Anton Webern beschäftigt. Dessen Pointillismus klingt durchaus in den zwanzig Minuten dauernden, nahtlos aufeinander folgenden sieben Sätzen nach. Sie gruppieren sich um zwei Nachtmusiken. Diese Nocturnes sind indes keineswegs klangmalerische Schilderung von „Nuits“, wie das Opus ursprünglich heißen sollte, sondern durchaus irritirerende Spiegelung dunkler Gedanken der Seele.Das Quatuor Ébène transportierte die Botschaft engagiert und wurde dementsprechend begeistert bedankt.

Für die Ébènes gemahnt Dutilleux Vermischung der Stimmen an Beethovens erstes der Trias seiner nach Urheber und Widmungsträger benannten Rasumowsky-Quartette in F-Dur op. 59. Es weitet nicht bloß ideell, sondern auch mit fünfzig Minuten Spieldauer alle bis dahin gebräuchlichen Dimensionen. Nach der Pause ein bekrönender, und selbst trotz der phänomenal ausgekostet viertelstündigen Adagio-Tragik inmitten zuguterletzt aufhellender Schluss. Logischerweise konnte, ja durfte darauf keine wie immer gearteten Zugabe folgen. Dem Vernehmen nach planen die Franzosen übrigens fürs kommende Beethoven-Jahr dessen ganzen Zyklus – hoffentlich auch in Salzburg!

Bild: SF / Marco Borrelli