Tristan trauert um die Bachmann

FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / WELSER-MÖST

26/08/18 Vor wenigen Tagen haben Edith Clever und Martin Wuttke aus dem reichhaltigen Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Hans Werner Henze gelesen. Am Samstag (25.8.), im letzten Konzert der Wiener Philharmoniker in diesem Festspielsommer, gab's die Musik dazu.

Von Reinhard Kriechbaum

Auch in den letzten Tagen also jene feinen gedanklichen Fäden, die aus einem Hochglanzfestival echte Festspiele machen. Es ist nicht bloß so, dass man neben die szenischen „Bassariden“ ein weiteres riesig besetztes Orchesterstück Hans Werner Henzes ins Programm holte. Auch das Schauspiel-Department war (eben mit besagter Lesung) in die Causa Henze involviert. Das Musikstück, in dem Hans Werner Henze seine Beziehung zu Ingeborg Bachmann reflektierte, ist sein „Tristan“, im Untertitel „Préludes“ für Klavier, Tonbänder und Orchester.

In vielerlei Hinsicht ist die 1974 uraufgeführte Komposition bemerkenswert: Ein Jahr zuvor war die Bachmann gestorben, „Tristan“ ist (auch und vielleicht vor allem) eine rückblickende Trauermusik. Sie war für ihn platonische Liebe und Muse gewesen, er für sie Seelentröster in einer kritischen Lebensphase. So viel Seelenengagement eines Tonschöpfers war mutig in den 1970er Jahren. Auch die Wahl der Mittel war damals, da der Mainstream in den Bahnen des seriellen Komponierens lief, durchaus gewagt. Da setzte Henze als bekennender „Subjektivist“ eine denkbar auffällige Duftnote. Aus viereinhalb Jahrzehnten Distanz könnte man Henzes „Tristan“-Phantasmagorie als eines der Schlüsselwerke der Postmoderne ansehen. Ein Wort, das damals noch nicht geprägt war.

Und – das ist eigentlich die Hauptsache: Henzes „Tristan“ ist das mit Abstand lyrischste und ausuferndste Klavierkonzert möglicherweise in der ganzen zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wohl wert, sich seiner in Luxusbesetzung anzunehmen.

Da war also Igor Levit für den Solopart verpflichtet, ein leises, verinnerlichtes, reflektierendes Singen, das sich selten nur in dynamisch nachdrücklichere Werte aufschwingt. Da geht es um die vielen leisen Nuancen, um die Konturen und Schatten. Sinnlich und mit klaren Linien hat Levit das gezeichnet, und man hat gut nachfühlen können, dass Henze ursprünglich ein Klavierstück vorgeschwebt war. Dieses ist pastos angewachsen. Zur innigen Klavierstimme kam ein sattes Streicher-Schwelgen mit allerlei Zitaten und Anspielungen, es kamen orchestrale Wildheiten dazu und es klingen – ein Beispiel nur – im vorletzten der fünf Abschnitte Anklänge von Tanzmusik hinein, ein Walzer etwa oder ein Marsch und ein „alla Turca“. Das war Futter für die Wiener Philharmoniker unter Franz Welser-Möst. Sorgsam tariert zum Klavierpart und doch selbstbewusst kontrastierend gefasst. Am Ende kommen vom Band der Herzschlag und die Kinderstimme, die von Nähe erzählt: Diese Episode ist übrigens die einzige Original-Elektronik aus den 1970er Jahren, alles andere wurde technisch unter Henzes Aufsicht zwanzig Jahre später auf neuen technischen Standard gebracht.

Diese Musik ist in ihrer postmodernen Hintergründigkeit ganz weit weg von Wagner und passt doch gut zu diesem, in dem Fall: zu vier symphonischen Filetstücken aus der „Götterdämmerung“: von der Morgendämmerung über Siegfrieds Rheinfahrt, Tod und Trauermusik bis zum Weltenbrand. Googelt man, so findet man den „Ring“ in mehr oder weniger unernst gemeinten Versionen von sechzig bis hundert Minuten. Hier waren's derer gute dreißig, und doch etwas Ganzes: Süffiger, pastoser, auch genauer gezeichnet im Detail kann man sich einen philharmonischen Abschied aus dem sommerlichen Salzburg gar nicht vorstellen.

Hörfunkübertragung am 31. August, 19.30 Uhr, Ö1
Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli
Zum Bericht über die Lesung
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