Comedian, trauriger Clown, Selbstzerstörer

FESTSPIELE / KOMMT EIN PFERD IN DIE BAR

09/08/18 „Dovele G., meine Damen und Herren, auch genannt Dov Grinstein, ist der einzige Mensch auf der Welt, der bereit ist, eine ganze Nacht mit mir zu verbringen, und zwar ohne Geld, und das ist meines Erachtens die sauberste und objektivste Messlatte für wahre Freundschaft.“ Das sagt Dovele über sich selbst – und er hat absolut unrecht.

Von Reinhard Kriechbaum

Denn erstens ist da Pitz, das Mädchen vom Nachbarhaus, das sich noch an den fröhlichen Buben erinnert, der im Handstand neben seiner Mutter her gelaufen ist. Und da ist das Publikum. In dem 2014 veröffentlichten Roman von David Grossman laufen die Zuschauer dem glücklosen Alleinunterhalter Dovele reihenweise davon. Bei der Deutschsprachige Erstaufführung der Dramatisierung durch Dušan David Pařízek sind zwar bald mal zwei ältere Damen aus der ersten Reihe abmarschiert. Der Ton, mit dem Dovele sein Publikum attackiert, mag für sie, in der ersten Reihe sitzend, zu frontal, zu bedrohlich, zu niederschmetternd gewesen sein. Aber trotz ansehnlicher Aufführungslänge – zwei Stunden vierzig Minuten ohne Pause – besteht im Salzburger „republic“ nicht die geringste Fortlauf-Gefahr. Nicht mal auf die Uhr schaut man zwischendurch.

Samuel Finzi ist dieser Dovele, der einen Abend lang alles tut, um als Publikums- und Selbsthasser da zu stehen. Und doch wird er alle Sympathie und nicht wenig Mitleid auf seine Seite ziehen im Lauf seiner „etwas alternativ geratenen Comedy Show“. Ja, ein Comedian, der im Gegensatz zu Kabarettisten alten Zuschnitts nicht vorgibt, über den Dingen und mithin in deutlichem Abstand zu ihnen zu stehen. Dovele ist Kind geblieben, Kind seiner Zeit. Er stand und steht mittendrin im Wahnsinn des Staates Israel, mittendrin in der eigenen Familie (Vater und Mutter waren die einzigen der Sippschaft, die den Holocaust überlebt haben). Dovele ist einer, der zum bitter attackierenden, distanzlosen Comedian werden musste, wie überhaupt (so argumentiert im Programmheft der österreichische Schriftsteller Doron Rabinovici) jüdischer Humor eine Wandlung in diese Richtung durchgemacht habe.

Dovele ist gleich Samuel Finzi ist gleich Dovele. Quasi im Minutentakt startet er seine Ausritte gegen das Publikum, gegen das Leben in seinem Land, gegen seine Herkunft, seine Familie, gegen sich selbst. Fast verstört wirkt er, wenn die Jugendfreundin Pitz ihm attestiert, „derselbe wie damals“ geblieben zu sein.“Bart, Glatze und Menschenhaß ausgeklammert“, kontert er mit gespielter Ironie. Wie viel Mühe kostet es diese durch und durch psychisch verquere Figur, Wahrheiten zuzulassen!

Was dieser famose Schauspieler zu leisten vermag, wie er umgeht mit den psychischen Brüchen und Deformationen des Dovele, darauf Reagiert Dušan David Pařízek, der auch für die Bühne verantwortlich ist, mit dem denkbar kargsten Ambiente. Vor einer quadratischen Bretterwand wird Dovele zur Publikumsbeschimpfung anheben. Seinen Anzug wird Dovele in der Hitze des Gefechts bald in Fetzen gerissen, im Anrennen gegen die Wand wird er sein Gesicht blutig geschlagen haben.

Schließlich fällt die Wand, wird zu einem ganz flachen, großen, drehbaren Podium – viel zu niedrig, als dass sich Dovele noch ernsthaft über andere erheben könnte. Da ist, auf zwei Drittel der gesamten Aufführungsdauer, nur noch er selbst Gegenstand und Opfer seines eigenen bitteren Rabaukentums. Immer wieder hantiert er mit der Videokamera, wir sehen sein Gesicht im Großformat – ein vom Leben zerstörter wie sich selbst zerstörender Egomane.

Wirklich Egomane? Wenn er seine Zoten mit dem Publikum abspult (political correctness ist keine Tugend des Romans von David Grossman) gerät er wie zufällig an Pitz. Er führt die Frau vor. Es stellt sich heraus, dass Pitz eine Jugendfreundin ist. Das Nachbarmädchen erinnert sich an einen anderen Dovele. Eine Traumrolle für Mavie Hörbiger. Allein durch ihr Da-Sein wirft sie den verbitterten Mann gleichsam auf sich selbst zurück. „So war es nicht“, sagt sie einige Male mit Bestimmtheit. Und sie wird selbst zur Sprühdose mit dem Bühnenblut greifen oder sich – wieder wie ein Spiegelbild zu ihm – als trauriger Clown schminken. Sie wird gehen, wenn er sie zurückhalten will, und sie wird trotzig sitzen bleiben, wenn er sie partout wegschicken möchte. Pitz ist, so erfahren wir, die Kurzform von Pitzkele, winzig. Im entscheidenden Moment wird sie jene kleinen Sandkörner streuen, die reiben auf den Schienen des Selbstdarstellers.

Über vieles müsste man berichten von diesem durch und durch unordentlichen Romantext. David Grossman spielt raffiniert mit den Zusammenhängen von kollektivem Empfinden und Denken mit persönlichem Schicksal.Vom jüdischen Selbsthass zu jenem auf die Araber, von ernsthafter Erinnerung und Prägung durch den Holocaust bis zu frivoler Ironie: Da steckt ein seelisches Pandämonium einer Volks-Befindlichkeit dahinter.

Vieles wird an- und ausgesprochen, mehr noch angedeutet. In der Textflut geht gewiss auch Wichtiges unter, so dass man schon einige Male darüber nachdenkt, ob die Romanform nicht doch das angemessenere Medium ist. Keine Frage freilich: Mit Samuel Finzi und Mavie Hörbiger ist das ein ein- und nachdrücklicher Theaterabend, entsprechend bejubelt nach einem fast verblüffend positiven Ende. „Aber jetzt bin ich ab bissele müde“ sagt der mit Haut und Haar in Dovele aufgegangene Samuel Finzi. Rechtschaffen müde.

Aufführungen bis 23. August im republic – www.salzburgerfestspiele.at
Ab 5. September im Akademietheater – www.burgtheater.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Bernd Uhlig