Meine Tränen und dein weißes Haar

FESTSPIELE / I DUE FOSCARI

12/08/17 Placido Domingo fasziniert und begeistert mit Stimm- und Darstellungskraft als Francesco Foscari. Er ist der ältere der beiden Vertreter des venezianischen Adelsgeschlechts in der Oper „I Due Foscari“ von Giuseppe Verdi. Der Jubel nach der konzertanten Aufführung am Freitag (11.8.) im Großen Festspielhaus war schier grenzenlos und galt – nicht nur aber vor allem – Placido Domingo.

Von Heidemarie Klabacher

Sein altes Herz schlägt in der Brust, „wie in jungen Jahren“, singt der weißhaarige greise Doge, den eine Intrige binnen kurzem seines Sohnes, seiner Herrscherwürde und seines Lebens berauben wird. Dass Placido Domingo singt, „wie in jungen Jahren“, kann man nur deswegen nicht schreiben, weil er das Stimmfach gewechselt hat. Die Partie des Francesco Foscari jedenfalls singt ihm, sogar technisch betrachtet, so leicht kein junger Bariton nach – über soviel  unverwechselbaren Schmelz und solch stupende Stimmbeherrschung gebietet der alte Routinier. Placido Domingo braucht eine Geste Richtung eigenem Herzen nur anzudeuten, um Augen und Herzen seiner Zuhörer quasi überfließen zu lassen. Charisma eben.

Zwei verfeindete Familien in Venedig – sie heißen nicht Montague und Capulet, sondern eben Foscari und Loredano – und keine Hoffnung auf Versöhnung: Der alte Doge wird seiner Macht beraubt, sein schuldloser Sohn vom Stadtsenat in die Verbannung und in den Tod intrigiert. Die Ehefrau bzw. Schwiegertochter bleibt ohne Trost als in pure Rachelust getriebene Witwe zurück, während die Veneianzer den nächsten Dogen bejubeln.

„I due Foscari“, Giuseppe Verdis Tragedia lirica in drei Akten aus dem Jahr 1844, ist im Grunde eine Oper für zwei Sänger, eine Sängerin und ein paar Stichwortgeber. Zu diesen gehört seltsamerweise der Schurke Jacopo, der intrigante Spross des Hauses Loredano: Verdi hat dieser Basspartie keine Arie, kaum ein richtiges Rezitativ, gegönnt. Schade. Denn in der konzertanten Aufführung im Großen Festspielhaus hat Roberto Tagliavini (der hervorragende König aus der aktuellen Aida-Produktion) dem Erz-Bösewicht in seinen kurzen Wortmeldungen klangvoll bedrohliche Stimme verliehen.

Der Tenor Joseph Calleja brilliert als Sohn des Dogen in der Rolle des jungen Jacopo Foscari, souverän und geschmeidig in der reich timbrierten Mittellage, wenn auch, zumindest in der ersten Aufführung, nicht ganz locker und fokkusiert auf den in die hohen Lagen führenden Linien.

Die Sopranistin Guanqun Yu gestaltete die facettenreiche, zwischen Rachegöttin und verzweifelnder Liebender, changierende Partie der Gemahlin und Schwiegertochter Lucrezia. Anfängliche Schärfen löste sie im Laufe der ezntralen Partie, die in allen Ensembles, so gar in den Streitereien im Senat, präsent ist.

Die wichtige Chorpartie – seien es die wegen des Lokalkolorits in die Oper eingebauten Gondolieri, quasi aus der Ferne zu hören, oder der Senat – singt der bestens disponierte Philharmonia Chor Wien, einstudiert von Walter Zeh.

Der Dirigent Michele Mariotti am Pult des Mozarteumorchesters weiß der frühen Verdi-Partitur in bester Kapellmeister-Manier unzählige Facetten reichster Intrumentierungskunst abzugewinnen: Wunderschön die vielen Soli der tiefen Streicher! Fast möchte man von einer Bratschen- und Cello-Oper sprechen. Das Werk wirkt inhaltlich und formal nicht ganz ausgegoren, seltsam etwa mutet mitten in der Polit-Intrige und Liebes-Tragödie eine Wahn- oder Albtraumszene des jungen Foscari an, in der plötzlich Schauerelemente der Romantik anklingen. Das souveräne Solisten-Ensemble und das farbenreich und differnziert gestaltende Orchester fügen alles zusammen in ein bewegendes Sittenbild: Man kann sich, wie der Senat und Jacopo Loredano, auf die Gerechtigkeit berufen, und dennoch Verbrechen begehen.

I due Foscari – eine weitere Aufführung am Montag (14.8.) um 15.30 im Großen Festspielhaus - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borelli