Abgestürzt in die eigenen Seelenabgründe

FESTSPIELE / LADY MACBETH VON MZENSZ

03/08/17 Mit starrem Gesicht schaut die Frau auf die üble Männergesellschaft um sie herum. Wie gelähmt scheint sie in der eigenen Geschichte zu stehen. Wenn sie aus dieser Lähmung erwacht, passiert fast zwangsläufig das Unglaubliche: die Morde am Ehemann und am Schwiegervater. Oder die Hingabe an den Liebhaber Sergej.

Von Reinhard Kriechbaum

Diese Szene ist in die Musikgeschichte eingegangen ist als der erste (und einzige?) komponierte Orgasmus. Nicht mehr als ein Apercu, denn in der Salzburger Festspiel-Aufführung von Dmitri Schostakowitsch' „Lady Macbeth von Mzensk“ führt Mariss Jansons am Pult der Wiener Philharmoniker vor, was eigentlich diese Partitur ausmacht. Da sind die eigenartigen Walzer-Passagen, die sich Bahn brechen sogar in hochdramatischen und seelen-bedrohlichen Momenten. Da sind die bizarren, grotesken Episoden, etwa jene in der Polizeistation (nicht die einzige Szene, die Stalins Kultur-Reinheitswächtern einst wenig gefallen hat). Da sind Zwischenaktsmusiken von drastischer Schärfe, ja zermalmender Energie. Aber vor allem ist da eine gar wundersame Lyrik, edelste Kammermusik rund um die Singstimmen, in denen Gefühls-Verbiegungen und -Wahrheiten der Protagonisten in dieser haarsträubend grausamen Geschichte anschaulich werden.

Katerina also: isoliert und auf sich gestellt in einer sagenhaft verrohten Männerwelt, sexuell unausgefüllt, ja über-sexualisiert. Um sie herum rüde Gesellen, ausschließlich testosteron-gesteuert. Selbst der alte Boris, der sich gerne in eine Parfumwolke hüllt, könnte sich was mit der Schwiegertochter vorstellen, aber ihm kommt Sergej, der Arbeiter, zuvor. Dieser Sergej ist der übelste Frauen-Nehmer von allen, und das weiß Katerina wohl auch zu genau – und fühlt sich doch hingezogen zu dem Typen. Der Schwiegervater, der das spitz kriegt, wird beiseite geschafft, so wie der Ehemann, der die beiden in flagranti erwischt. Der Weg nach Sibirien ist vorgezeichnet, und da muss Katerina noch sehen, wie Sergej sich der nächsten Frau zuwendet. Mord an der Nebenbuhlerin, Selbstmord (nicht im Wasser, sondern durch Erdrosseln und Erhängen in der Regie von Andreas Kriegenburg).

Eine krasse Geschichte, nicht arm an knalligen Musik-Effekten, aber eben – und das ist der bezwingende Nukleus dieser Festspiel-Aufführung – zuerst ein Drama um innere Getriebenheit und unbezähmbare Gefühle. Man glaubt ja sogar dem Erzschurken Sergej, dass er ernsthaft leidet unter Einsamkeit, nicht anders als Katerina. Magnetische Kräfte scheinen am Werk zwischen den beiden.

Dies heraus zu zeichnen, dafür sorgt Mariss Jansons als phänomenaler Schostakowitsch-Exeget. Was er an betörendem Melos herausholt, ohne dieser Partitur ihre neoklassizistische Motorik zu nehmen. ist geradezu atemberaubend. Die Wiener Philharmoniker sind da natürlich das denkbar beste Orchester, und sie lohnen den Klang-Sinn des Dirigenten, indem sie sich mit ihm dann auch auf die exzessive Rhythmik, auf die Urgewalt der Tonsprache des 24-jährigen Schostakowitsch einlassen. Der latent sich bahnbrechende Dreivierteltakt ist ohnedies Ur-Kompetenz des Orchesters, und Mariss Jansons hat die Stilsicherheit, die Emphase zu lenken.

Jansons, der das erste Mal in Österreich Oper dirigiert, hat zur Urfassung gegriffen. Schostakowitsch hatte später manches auf Druck von Stalins Kultur-Schergen abgemildert. Auch daher jetzt einprägsame Momente, die einen „Lady Macbeth von Mzensk“ im Detail neu hören lassen.

Nina Stemme ist Katerina. Mühelos setzt sie sich auch gegen Orchesterwogen durch, aber ihre Stimme hat nichts Heroinenhaftes. Gerade, ohne jede Schlacken führt sie ihren Sopran mit der charakteristischen Kraft und Farbe in tieferen Lagen. Das suggeriert: eine Frau mit Willensstärke. Eine, die leicht übers Ziel hinaus schießt, wenn sie die Zeit der Initiative gekommen sieht. Brandon Jovanovich als Sergej – was für ein Gegenspieler! Don Giovanni im Arbeiter-Slum der Stalin-Zeit, stimmlich zwischen herausforderndem Draufgängertum und (gespielter?) Schmeichlerei changierend, wie es eben diese Rolle so recht glaubhaft macht. Boris, der Schwiegervater: ein auch stimmlich mächtiger Patriarch, gegen dessen schwarzen Bass niemand etwas ausrichtet, es sei denn durch eine letale Dosis Rattengift. Und dann Katerinas Ehemann Sinowi, Säufer, schwach. Der Tenor von Maxim Paster wirkt in der Höhe extrem eng, aber das passt formidabel aufs Rollenbild. Drumherum ein Ensemble, fast ausnahmslos aus Russisch-Muttersprachlern oder zumindest Slawen. In der Diktion höchst authentisch. Auch darüber wacht Mariss Jansons streng.

Regisseur Andreas Kriegenburg kommt vom Schauspiel her, was man vielen Einzelheiten seiner sachlichen, nie eitlen Arbeit ansieht. Ihm war es ein Anliegen, die Ausweglosigkeit der Katerina zu zeigen. Sie ist es gewohnt, zu kuschen. Riesenhaft-überzogen ihre unbändigen Fehlleistungen. Die Zwischenaktmusiken nutzt Kriegenburg, um in mystisch-blauem Licht mit Hilfe von Videotechnik die Konturen der Dekoration zerfließen zu lassen. Da werden Seelen-Täuschungen zum Bild, und Katerina sieht beispielsweise kopulierende Paare in Menge. Leider ist Kriegenburg fürs letzte Bild nichts dergleichen eingefallen, da bleibt der Ablauf etwas einfältig-realistisch. Die beiden Frauen als erhängte Puppen, das ist der sonst psychologisch genau gearbeiteten Inszenierung nicht angemessen.

Bühnenbildner Harald B. Thor hat Betonplatten-Hochhäuser bauen lassen, aus denen man wie Schubladen das Schlafzimmer der Katerina, das Büro des Kaufmanns Sinowi, auch die Polizeiwachstube wie überdimensionale Puppenstuben herausziehen kann. Die Arbeiterinnen und Arbeiter: Pöbel ob sozialer Trostlosigkeit.

Aufführungen bis 21. August. Hörfunkübertragungen am 5. August um 19.30 Uhr in Ö1 und am 8. August um 20.03 Uhr in BR-Klassik – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Thomas Aurin