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Bezwingende Klangwanderung

FESTSPIELE / ANDRÁS SCHIFF (3)

03/08/17 Ein grandioser Zyklus ging mit einer weiteren Sternstunde zu Ende. Nahezu drei Stunden, die wie im Flug vergingen, hielt András Schiff seine Zuhörer im Bann und führte sie im Großen Saal des Mozarteums auf eine Exkursion in die Tiefe der Musikgeschichte.

Von Gottfried Franz Kasparek

Natürlich hält András Schiff wieder seine ebenso fundierten, erhellenden wie launigen Einführungen, bevor er sich im ersten Teil auf eine weite Reise macht. Sie läuft so gut wie pausenlos ab, erst am Ende ist Applaus gestattet. Diesmal beginnt es mit einem Jugendwerk des großen Johann Sebastian aus dem Jahr 1706. Sein Bruder Johann Jacob Bach war als Oboist in die Dienste des gegen Russland in den Krieg ziehenden Schwedenkönigs Karl XII, getreten, später verschlug es ihn gar nach Konstantinopel, gestorben ist er 1722 mit vierzig Jahren aber in Stockholm. Die Brüder sahen einander nie wieder und vermutlich entstand Johann Sebastians Capriccio „Sopra la lontananza del fratello dilettissimo“ als eher heiterer Abschiedsgruß. Das ist feine barocke Programm-Musik, mit einem köstlichen „Adagiosissimo“, dem „allgemeinen Lamento der Freunde“, einer „Aria“ des Postillions und einer veritablen Postfuge am Ende – herrliche Unterhaltungsmusik, die Schiff verschmitzt und mit Gusto spielt.

Danach geht die Fahrt auf den Balkan zu Béla Bartóks sechs Tänzen in bulgarischen Rhythmen, den wohl schwierigsten Stücken aus dem Mikrokosmos. Dazwischen schiebt Schiff allerdings die geheimnisvollen vier Duette aus Bachs „Clavierübung“, Zeugnisse reichster harmonischer und kontrapunktischer Meisterschaft, über deren Sinn sich schon Generationen von Musikwissenschaftlern den Kopf zerbrechen. Und siehe da, im trauten Verein mit Bartóks sprühender Folklore-Verwandlung muten die Rätselstücke auf einmal wie wundersam mitreißende, freie Tänze an.

Was der Pianist da aus dem Bösendorfer zaubert, ist eine Lehrstunde in erfülltem und erfühltem Klavierspiel, gar nicht esoterisch, eher im besten Sinne geerdet. Am Ende dieser keinen Takt lang zu langen Klangwanderung schließt nahtlos an das a-Moll-Duett die hoch expressive Klaviersonate Bartóks an, deren singuläre Mischung aus barbarischer Kraft und ritueller Rhythmik András Schiff mit Energie und doch Feinarbeit aus dem Flügel meißelt.

Leoš Janáčeks kleiner Zyklus „Im Nebel“ erklingt nach der Pause wie ein insistierendes Selbstgespräch, auch dies von Volkstänzen beeinflusste, doch eigentlich dunkle, nachdenkliche Musik. Das Finale macht auch diesmal Robert Schumann. Einst hat der legendäre Charles Rosen Schiff auf die Spur von Schumanns Urfassung der C-Dur-Fantasie op. 17 in der Budapester Nationalbibliothek gebracht. Der Beethoven-Bezug des Beginns – „Nimm sie hin denn, diese Lieder“ aus „An die ferne Geliebte“, hier für die ferne Clara bestimmt – kehrt am Ende zurück, schließt einen Kreis, im Gegensatz zur gedruckten Version.

Schiff spielt das, obwohl von Schumann eindeutig gestrichen – und beweist, dass der letzte Wille eines Komponisten nicht zwingend der beste sein muss. Die Fantasie ist voll blühender Romantik, tatsächlich ein „Love Poem“, wie der Pianist verkündet, tief wie „Tristan und Isolde“ und schön wie ein altes Liebeslied, voll Sehnen und Begehren. Stimmiger und anrührender wie András Schiff kann man das nicht spielen. Der Jubel des Publikums wurde mit Bach und Bartók belohnt und mündete in eine stehende Ovation.

Bild: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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