Frau Musica und Sir John Elliot Dank und Preis

FESTSPIELE / MONTEVERDI ZYKLUS / GARDINER

30/07/17 Wer in den letzten Tagen den Salzburger Monteverdi Zyklus mit-erleben durfte, ist nicht mehr, wer er oder sie vorher war. Das Ohr? Neu geöffnet für allerfeinste Nuancen in den Klangfarben von Laute und Harfe, Flöte und Zink, Gambe, Cello und Cembalo, aufnahmebereit für „Lautstärken“ kaum diesseits der Hörbarkeit. Und das Herz? Bereit zu tanzen angesichts des Todes.

Von Heidemarie Klabacher

Die Gesamtaufführung der drei erhaltenen Opern von Claudio Monteverdi anlässlich seines 450. Geburtstages ist ein Meilenstein in der Alten Musik-Entwicklung. Nicht weniger. Eine Aufführungsserie über drei Abende szenisch und musikalisch, sängerisch und darstellerisch aus einem einzigen Guss. Eine Leuchtturm-Produktion, die einteilen wird die Zeit in vor und in die Zeit nach „Monteverdi 450 bei den Salzburger Festspielen 2017“: Monteverdi Choir und English Baroque Soloists haben unter der Leitung von John Eliot Gardiner in der Felsenreitschule Interpretationsgeschichte geschrieben.

John Eliot Gardiner lässt sein Publikum an den Ergebnissen eines Lebens im Dienst der Musik teilhaben, zeigt anhand der Liebesgeschichten von Orpheus und Euridyke, Odysseus und Penelope, Poppea und Nerone wie sanft und geschmeidig die fiebrigsten Emotionen in Musik gebracht werden, wie leise dramatischer Aufruhr sein kann, wie raumfüllend ein einzelner Harfenton. Das singende Deklamieren und das deklamierende Singen, das Monteverdi erfordert, verschmolz in allen Partien zu jeweils großen musikalischen Linien, und war dennoch immer reich differenziert in allen Abstufungen der Emotionalität und Expressivität.

Verneigung vor jedem einzelnen Mitglied der English Baroque Soloists.

Die Regie von Elsa Rooke und John Eliot Gardiner beschränkte sich im Grunde auf inszenierte Auf- und Abgänge und einige wenige Spielszenen zwischen den beiden Instrumentengruppen – quasi zu Füßen des Dirigenten. Die Arkaden der Felsenreitschule wurden vom Lichtdesigner Rick Fisher farbig beleuchtet, golden etwa, hatten eine Göttin oder ein Gott Kommentare zum Geschehen abzuliefern. Die raffiniert einfachen Kostüme schufen Isabella Gardiner und Patricia Hofstede, das „Atelier paradis“: Die Kleider der Damen sind, ob Frau oder Göttin, Königin oder Hirtin im Grunde gleich geschnitten, Samt war den Göttinnen vorbehalten. Unprätentiös auch die Gewänder der Herren, unverwechselbar dennoch etwa das königsblau von Nerones Gehrock oder der ockerfarbene Bettlermantel des Odysseus.

Es ist kaum möglich, die drei Aufführungen getrennt zu betrachten, nicht nur wegen des bestechend einfachen und doch so überaus anschaulichen „halbszenischen“ Konzeptes. Auch die gleichen Sängerinnen und Sänger tauchten an diesen drei Abenden immer wieder auf: sowohl mit Doppelrollen innerhalb einer Oper, als auch mit „Hauptrollen“ .

Hana Blažíková sang in die Euridice in „L’Orfeo“, die Titelpartie in „L’incoronazione di Poppea“, dazu die Allegorie der Musica bzw. die Göttin Fortuna, und wenn schon auf Göttinnen gebucht - in „Il ritorno d’Ulisse in patria“ die kleineren Partien von Minvera und Fortuna. Das liebende Sehnen der Euridice unterschied sich im überwältigend strahlenden und souveränen Sopranklang in nichts von den manipulierenden Schwüren und Schmeicheleien der Poppea. Sogar das weiße Kleid schien das gleiche zu sein. Und: Monteverdi hat der wahren und der als Mittel zum Zweck eingesetzten Liebe die gleiche wundersame Musik geschrieben. Tatsächlich ist die Partie der Poppea noch viel betörender und die ersten Liebesschwüre für Sopran in der Musikgeschichte gehören zugleich zu den schönsten auch wenn sie falsch sind… Jedenfalls zwei Frauenfiguren wie Tag und Nacht - denen Hana Blažíková unverwechselbares Profil zu verleihen wusste.

Die gleiche staunenswerte darstellerische und sängerische Meisterleistung bot Lucile Richardot als Penelope und als Poppeas Vertraute und Amme Arnalta. Als Gattin des Odysseus (der Bariton Furio Zanassi war ebenfalls an allen drei Abenden zu erleben) sie zu Tränen gerührt. Lucile Richardot hat die Wahrhaftigkeit von Sehnen und Trauern ausgedrückt mit den Mitteln einer Jahrhundertstimme, einem überwältigend timbre- und klangfarbenreichen Mezzosopran. Als Poppeas geschwätzige Amme, eine scharfzüngige Klatschtante, die ihrer Herren treu ergeben ist, hat sie dagegen für urkomische komödiantische Momente gesorgt. Etwa mit dem bühnereifen Abgang durch den Saal: den Kopf schüttelnd über Poppeas verrückte Hoffnungen auf Heirat und Kaiserthon und lautmalerisch die Mahnung zischelnd „Ben sei pazza di credi…“. „Du bist verrückt, wenn du das glaubst…“ Nun ja. Amor hat gesiegt – an allen drei Abenden in der zierlichen Gestalt der Sopranistin Silvia Frigato.

Die Rolle des Nerone in „L’incoronazione di Poppea“ war besetzt mit dem Countertenor Kangmin Justin Kim. Er machte angriffig und stupend virtuos den mörderischen Wahn des Despoten ebenso greifbar, wie mit betörendem Counterklang in Sopranlage die tiefen Gefühle gegenüber Poppea. Kein Problem, dazwischen, die Gemahlin und rechtmäßige Kaiserin übers Meer zu verbannen. In „L’Orfeo“ sang Kangmin Justin Kim die kleine Partie der Allegorie der Hoffnung.

Eine zentrale Figur in allen drei Opern war der Bassist Gianluca Buratto: Im Orfeo war er auf die Unterwelt gebucht mit Charon und Plutone (DrehPunktKultur hat die bewegende zentrale Begegnung mit Orfeo geschildert), im Ulisse hatte er gleich drei Rollen zu spielen, darunter den zürnenden Meeresgott und den Freier Antioo. In der Partie des abgeklärten Philosophen Seneca, der vom Despoten zum Selbstmord gezwungen, gab Gianluca Buratto vor allem den weichen geschmeidigen Facetten Raum.

Bejubelt die Sopranistin Anna Dennis als Nymphe, Magd Melanto und ganz besonders als Drusilla in der Poppea, Francesca Boncompagni als Proserpina... Überwältigend die sängerischen Leistungen in jeder einzelnen der zahlreichen großen und kleinen Partien. Es bleibt nur zu danken, für diese drei unvergesslichen Abende.

Bilder: Salzburger Festspiele / Silvia Lelli