Erzählte und erfühlte Musik

FESTSPIELE / ANDRÁS SCHIFF (2)

30/09/17 András Schiff am Samstagabend (29.7.) im Großen Saal des Mozarteums: Das zweite Konzert in seinem Zyklus wurde zum Ereignis mit erhellenden Einblicken in die Stücke, nicht nur durch deren Spiel. Der Pianist als Werkführer, mit Charme und souveränem Überblick.

Von Gottfried Franz Kasparek

András Schiff hat das „Nachdenken über Musik“ à la Alfred Brendel zu seiner Maxime gemacht, ohne das Nachspüren und Nachfühlen zu vergessen. Es betritt das Podium, setzt sich zum geliebten Bösendorfer und ergreift zunächst einmal das Mikrophon. Eine gute halbe Stunde parliert er über Bach und Bartók, vielleicht ein bisschen zu lange, aber in fein artikuliertem Englisch mit deutschen Einsprengseln. Denn, so meint er, zu wenig Leute im Saal verstünden Deutsch und ein kleiner Seitenhieb gegen die „Anglo-saxons“, die keine andere Sprache lernen wollen, sorgt für Heiterkeit. Nicht bloß mit wissenschaftlichem Ernst, sondern mit Liebe und Laune erzählt Schiff Wesentliches über die Noten, die er allesamt im Kopf hat, spielt immer wieder Motive an, schafft Verbindungen über Jahrhunderte hinweg – eine „lecture“ mit ihm ist ein reines Vergnügen, was nach der Pause mit kürzer gehaltenen Anmerkungen zu Janáček und Schumann weitergeht.

Johann Sebastian Bachs Dreistimmige Sinfonien erklingen voll sagenhaftem Feingefühl, wundersam austariert, zeitlos schwebend. Niemand vermisst das Cembalo. Auch Béla Bartók verwendete in seinen Klavierstücken barocke Formen und wie Bach war er ein großer Lehrer. Schiff, hierin sehr ungarisch, hält Bartók für den größten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Er spielt diese Kleinode seines „compatriots“ nicht nur mit der für ihn üblichen Delikatesse des Anschlags, sondern auch mit gebührendem Feuer und klug dosierter Expressivität.

Nun, Bartók gehört zweifellos zu den Größten der Moderne. Ein Werk wie die Suite op. 14 kann verzaubern und gleichzeitig bestürzen, in ihrer Spiegelung des Grauens am Beginn des Ersten Weltkriegs, auch durch die stets im Hintergrund spürbare Verbindung zur Volksmusik, vor allem durch die „Reise ins Innerste der Musik“ und in die „Natur der Klänge“, so Wolfgang Stähr trefflich im Programmheft. András Schiff bringt dies alles berührend zur Geltung. Und die fünf Stücke „Im Freien“, organisch unterbrochen durch einen Block von fünf Bach-Sinfonien, reizen nicht nur das Instrument aus, sondern sind tönend bewegte Bilder, die ihren Höhepunkt in den fast „mahlerisch“ doppelbödigen „Klängen der Nacht“ finden – der Meister des Flügels ist ein phantastischer Nachschöpfer. Besser, richtiger, aufrichtiger kann man das nicht spielen und im „Hajsza“- Final-Presto darf es sogar lustvoll vital knallen.

Nach der Pause also zunächst wiederum Worte, goldrichtige über die letztlich unlösbare Verbindung von Kunst und Politik anhand Leoš Janáčeks tragischer, in ihrer lapidaren Wucht beklemmender Sonate „1. Oktober 1905“ im Angedenken an einen von der k. u. k.-Polizei ermordeten, tschechischen Demonstranten in Brünn. Das große Finale wird dann zu einem Dokument der Privatheit, denn Robert Schumann hatte in seiner fis-Moll-Sonate nur eine Huldigung an seine Clara im Sinn. András Schiff lässt es hier romantisch singen und klingen, verknüpft formale Klarheit mit sinnlichem Ausdruck. Nichts ist zu laut, nichts ist zu schnell, doch alles ist tief empfunden und klangrednerisch nacherzählt. Großer Jubel.

Bild: Salzburger Festspiele / Silvia Lelli