Sie tragen kein russisches Trikot

FESTSPIELE / HAGEN QUARTETT / CURRENTZIS

24/07/17 Es sei so zu musizieren, dass die Fliegen aus der Luft tot herunterfielen und das Publikum aus Langeweile den Saal verließe, hat Schostakowitsch über sein letztes Streichquartett gesagt. Da wird Selbstironie dabei sein. Niemand verließ den Saal und für herum sumsende Insekten war es am Sonntag (23.7.) beim Nachtkonzert in der Kollegienkirche ohnehin zu kühl.

Von Erhard Petzel

Langeweile ist tatsächlich das Letzte, was einem zum Streichquartett Nr. 15 es-Moll op. 144 von Dimitiri Schostakowitsch einfällt. Vielmehr erreicht der Großmeister mit seiner Folge von sechs Adagios mit einem Minimum an Affekten erschütternde Spannung in endlose Bögen.

Tonwiederholung, Umspielung eines Tons, Terzgang sind zunächst die Urmotive eines sorgfältig erweiterten Kontinuums. Die Sprache Musik misst sich nicht nach Trivialzuständen menschlichen Alltagsempfindens. Langeweile? Sowenig man Mozart Depressionen unterstellen kann, wenn er mit tragischen Klangfarben Kontraste schafft, so wenig muss man auch hier anderes als Musik pur hören.

Schostakowitsch hatte sich in der bedrohlichen Sowjetzeit ausreichend mit Pathos auseinander setzen müssen. In diesen sechs langsamen Sätzen konnte er auf jeglichen pathetischen Gestus verzichten. Es erfordert freilich ein hohes Maß durchgängiger innerer Spannung, dieses Streichquartett jenseits virtuoser Attitüden zu transportieren. Mit filigranem Gespür des punktgenau richtigen Maßes zauberte das Hagen Quartett dieses Werk in einen Raum, der selbst für ein stringentes architektonisches Konzept mit strenger ornamentaler Schlichtheit steht.

Riesenkontrast nach der Pause mit dem musicAeterna Chor, der mit Mitgliedern des Salzburger Bachchores zu einem riesigen Klangkörper aufgestockt worden war. Die Lautstärkenpegel, die Teodor Currentzis mit emphatischem Dirigat herausforderte, waren durchaus Ohren betäubend. Auf dem Programm stand ein Chorkonzert Alfred Schnittkes nach frühmittelalterlichen Texten des armenischen Mönchs Gregor von Narek (2015 von Papst Franziskus im Gedenken an den armenischen Völkermord zum 36. Kirchenlehrer erhoben). Sein Werk titelt als „Buch der traurigen Lieder“, die gewählten vier Texte sind Hymnen auf den Herrscher der Welten und seine Beziehung zu dem armseligen Knecht, der ihn besingen darf.

Inhaltlich besteht dabei durchaus der Anspruch, durch das Absingen der Gesänge das Leben der Willigen zu steuern. So möge der Allmächtige das bescheidene Werk des Frommen segnen und in seinem Heilswerk vollenden. Schnittke findet für die unterschiedlichen Haltungen und Ansprüche des Mönchs differenzierte musikalische Bewegungen und Farben, die über die Hörerwartung an russisch-orthodoxe Kirchenmusik wesentlich hinausgehen, ohne sie zu verleugnen.

Das monumentale Ereignis endete mit klingendem Auszug durch das Kirchenschiff (besonders beeindruckend dabei die vorbeiziehenden schwarzen Bässe). Leider waren Teile des Publikums für aktionistische Reaktionen etwas anfällig, sodass der klingende Wiedereintritt auf die Chorrampe durch Zwischenapplaus erodiert wurde. Standing Ovations mit einer Irritation: Wurde da wirklich eine russische Fahne in der ersten Reihe hochgehalten? Genau war es nicht auszumachen. Wofür um alles in der Welt? Schostakowitsch und Schnittke tragen kein russisches Trikot.

Hörfunkübertragung am 10. August, 19.30 Uhr, Ö1
Bilder: Salzburger Festspiele / Andreas Kolarik