Musik eigentlich schon von morgen

FESTSPIELE / QUATUOR ÉBÈNE

24/08/16 Das fabelhafte Quatuor Ébène gehört zu den Stammgästen bei Salzburger Festivals und verzauberte am Dienstag (23.8.) im Großen Saal des Mozarteums mit Musik aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die wie Musik von heute klang. Ja mitunter sogar wie solche von morgen!

Von Gottfried Franz Kasparek

Nicht nur das Werk, Claude Debussys Quartett, kann man nicht treffender charakterisieren, als dies Komponistenkollege Paul Dukas anno 1893 getan hat. Die Beschreibung passt auch trefflich auf die vier Herren am Podium, die Geiger Pierre Colombet und Gabriel Le Magadure, den seit 2014 neuen Bratscher Adrien Boisseau und den Cellisten Raphaël Merlin. Alles sei „klar und deutlich gezeichnet, trotz großer formaler Freiheit.“ Die „Verknüpfungen klangvoller Akkorde“ gelingen mit atemberaubender Transparenz und fein abgestimmter Sensibilität. Die Dissonanzen sind wahrlich „nirgends grell, vielmehr in ihren harmonischen Verschlingungen fast noch harmonischer als selbst die Konsonanzen“, die „Melodie bewegt sich, als schreite sie über einen luxuriösen, kunstvoll gemusterten Teppich von wundersamer Farbigkeit, aus dem alle schreienden und unstimmigen Töne verbannt sind.“ Chapeau!

Die Lobrede von Monsieur Dukas lässt sich auch ganz gut auf die Quartette übertragen, die vor und nach Debussy auf dem Programm standen. Natürlich, in Joseph Haydns zweitem „Sonnenquartett“ op. 20/2 von 1772 geht die Sonne in klassischer Harmonie auf, aber wie überraschend schillernd, wie wagemutig kontrastreich, wie hintersinnig witzig sie dies tut! Herrlich, wie das Quatuor Ébène die lustvolle Spielfreude exakt trifft und dabei immer voll dezentem Esprit bleibt. Schon das jäh aus einer diffizilen Fuge in ein verblüffend rasantes Allegro stürzende Finale riss dem Publikum den Applaus nur so aus den Händen.

Nach der Pause Ludwig van Beethovens Es-Dur-Quartett op. 127, mit Ach und Krach uraufgeführt 1825 in Wien. Dass Beethovens späte Quartette lange Zeit meist ehrfürchtig bestaunte, aber von Ensembles gemiedene Außenseiter des Repertoires waren, sozusagen „Lesequartette“ wie es auch „Lesedramen“ gab, verwundert auch heute noch nicht. Die Anforderungen an Publikum und Spieler sind enorm. „Wahre Kunst ist eigensinnig, lässt sich nicht in schmeichelnde Formen drängen“, so Beethoven 1820. Darüber kann man streiten, wie immer über alles „Wahre“. Tatsache ist, dass es in diesen Stücken an die absoluten Grenzen der Musik ging – und in gewisser Weise trotz aller Avantgarde immer noch geht. Die in sich kreisenden, kaum von eingängiger Melodik wie bei Haydn und Debussy gemilderten, schier endlosen Verschlingungen dieser vier Sätze, die hohe Kunst der sich entwickelnden Variation erfordert höchste Konzentration. Wer sie beim Zuhören aufbringt, wird mit in sich ruhender Schönheit wie in der innigen Kantabilität des Adagios und mit aufregender, dabei völlig unpathetisch gewordener, dennoch leidenschaftlicher Klangrede im besten Sinne belohnt. Den vier Interpreten gelang dies auch deshalb so schlüssig, weil ihr Streicherton auch noch in den irrwitzigsten Verästelungen sinnlich blühend klingt. Der nicht enden wollende Jubel wurde mit Beethoven-Cantabile-Zauber belohnt.

Bild: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli