Er, sie, es bewegt sich doch

MDM MÖNCHSBERG / FOTO KINETIK

09/05/17 Aufsteigender Nebel im Gemälde ist lieblich. Der Rauch einer abgefeuerten Kanone verletzt durch sein immerwährendes Bleiben. So Adalbert Stifter, Dichter und Maler im 19. Jahrhundert, über „Ruhe und Bewegung“. Viele Ausdrucksformen und Techniken sind seither dazu gekommen. Das MdM  widmet dem facettenreichen Thema mit „Foto Kinetik“ eine seiner reizvollsten Ausstellungen seit langem.

Von Heidemarie Klabacher

Manche „Bewegung“ in der Gegenwartskunst ist kaum wahrnehmbar. Wie etwa in „1991“ von Mathias Poledna und Karthik Pandian. Sie haben eine Film-Sekunde aufgesplittert in Porträts des Topmodels Marike Le Roux. „Die 24 einzelnen Kader einer einzigen Filmsekunde wurden jeweils als Lichtbild gerahmt, der Film somit in seine Grundbestandteile zerlegt.“ Das bringt den rasantesten Film zum Stehen. Doch dazu kommt als weiterer Schritt der Entschleunigung, dass pro Tag nur ein einziges dieser Lichtbilder gezeigt wird.

Man müsste sich also 24 Tage lang hinauf bewegen auf den Mönchsberg und über die Stiege im MdM zur Ausstellungsebene 2 - um den kaum wahrnehmbaren Änderungen etwa in der Haltung der Finger des Models auf die Spur zu kommen.

Nicht immer gleicht die zur Kunstbetrachtung erforderte Bewegung so stark einem Fitnessprogramm (und den Lift gibt es ja auch noch): Um das Hologramm „Huddle“ aus dem Jahr 1976 müssen die Ausstellungsgäste einfach herumgehen. So können können sie mit wenig Bewegungsaufwand eine Zeitreise antreten und die Originalperformance der Choreografin und Tänzerin Simone Forti aus 1961 nachträglich „live“ miterleben.

Der Kunstfreund steht oder sitzt sonst ja meist ehrfurchtsvoll vor dem Gemälde des Alten Meisters, das goldrahmt an der Wand hängt. Eine - noch immer legitime - Form der Kunstbetrachtung, zu der freilich besonders in den 1960er-Jahren viele Alternativen gefunden wurden. Auch von diesen erzählt die Ausstellung „Foto Kinetik. Bewegung, Körper & Licht in den Sammlungen“.

Ein besonders anschauliches Beispiel „Kinetischer Kunst“ sind drei Hinterglasmontagen von Marc Adrian aus 1963/64, die nur zur Wirkung kommen, wenn man sich davor bewegt. Eine aktuelle Arbeit von Dorit Magreiter „zentrum (cinéma)“, eine Art überdimensionales Mobilie, eröffnet den Ausstellungsrundgang: Werk und Betrachter bewegen sich miteinander im Raum. Dazu gehört eine Serie von Dorit Magreiters „Lichtzeichnungen“, die ein weiteres Kapitel in der Geschichte des Ausstellungsthemas eröffnen: Magreiter hat ausgeschnittene Buchstaben (jene, die im Mobile das Wort „cinéma“ ergeben) auf lichtempfindlichem Papier in die Sonne gelegt und diese „zeichnen“ lassen… Das Spiel mit lichtempfindlichem Papier, auf das Pflanzen oder abstrakte Formen gelegt wurden, ist so alt wie die Fotographie und wurde immer wieder neu aufgegriffen. Eine ganze Wand ist im MdM solchen Fotogrammen und Fotografien gewidmet.

Wie eng die Themen Bewegung, Körper und Licht verbunden sind, zeigt das MdM in der Sammlungsausstellung in Partnerschaft mit der Generali Foundation denn auch anhand von Werken vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Neben den kinetischen Objekten, Performances und Filmarbeiten, Fotografien oder Fotogrammen werden auch Lithografien und Zeichnungen gezeigt. Etwa die virtuosen Bewegungsstudien aus 1933 von Helene von Taussig: Sie hielt mit ihren federleichten, beinahe abstrakt wirkenden Studien den Ablauf der Bewegungen des expressionistischen Tänzers Harald Kreutzberg fest.

Dieser gehörte zu den wichtigsten Ausdruckstänzern Deutschlands und konnte seine Karriere unter den Nazis fortsetzen, die den Ausdruckstanz nicht als „entartet“ diffamiert, sondern als „Deutschen Tanz“ vereinnahmt haben. Und auch das ist ein Thema in der facettenreichen Ausstellung: Mit der Beziehung zwischen Tanz, Ideologie und Politik beschäftigt sich etwa die aktuelle Videoinstallation „Truly Spun Never“ von Andrea Geyer. Das Werk ist im Auftrag des Museum der Moderne Salzburg im Rahmen der Ausstellung Kunst-Musik-Tanz entstanden und seit kurzem Teil der Sammlung.

Die Lithographie ist vertreten durch zwei Arbeiten von Max Ernst, „Rhythmen“ aus 1944 und „Danseuses“ aus 1950, die einen Touch Surrealimus in die Show bringen. Ein eigener Raum ist dem im heurigen März verstorbenen Gustav Metzger gewidmet. Dieser verfasste 1959 sein Konzept der Auto-Destructive Art, einer selbstzerstörerischen Kunst, in der sich Werke durch biologische, chemische oder technologische Systeme selbst zerstören und als Kunstwerk erst abgeschlossen sind, wenn der Verfalls-prozess beendet ist. Seine Arbeit „Mobbile“ bestand 1970 aus Ästen und Fleischstücken in einem Plexiglaskubus auf einem Autodach, in den mittels Schlauch die Auspuffgase des Wagens geleitet wurden. Ein Foto aus 2005 erinnert an eine Aktion anlässlich einer Ausstellung der Generali Foundation zu Gustav Metzger. Für diese Ausstellung rekonstruiert wurde auch Metzgers „Drop on hot plate“ aus 1968: Über einen Schlauch fällt jeweils ein Tropfen Wasser auf eine heiße Platte und verdampft leise zischend. Der alte Adalbert Stifter wäre begeistert, so schwerlos liegt das beinah imaginäre Dampfwölklein im Auge der Betrachterin und verletzt keineswegs durch sein immerwährendes Bleiben. .

Foto Kinetik. Bewegung, Körper & Licht in den Sammlungen – bis 24. September im Museum der Moderne Mönchsberg - www.museumdermoderne.at
Bilder: Mathias Poledna/Karthik Pandian (1); dpk-klaba (3)