Schattenstrick und Subversion

MUSEUM DER MODERNE MÖNCHSBERG / TANJA BOUKAL

08/11/13 366 Tote vor Lampedusa. Hungernde Kinder in Somalia. Kriegsversehrte Kindersoldaten. „Schrecklich. Eine humanitäre Katastrophe.“ - Und das war sie auch schon, die Betroffenheit des „Mediennutzers“ der westlichen Welt. Die Künstlerin Tanja Boukal gibt den Opfern von Krieg und Gewalt ihre Würde zurück. Mit ungewöhnlichen Mitteln.

Von Heidemarie Klabacher

409Gelbes T-Shirt, weiße Hose, tiefblaues Wasser – es könnte ein Werbe-Sujet sein, ist aber das Pressefoto von einer im Wasser treibenden Leiche. Auf den ersten Blick wirkt es ein wenig pixelig. Auf den zweiten Blick wird – zumindest einschlägig vorbelasteten weiblichen Betrachterinnen – klar, dass es sich nicht um ein technisch misslungenes Foto, sondern um einen Gobelin handelt. Ein Stickbild. Gestickt, wie sonst eigentlich nur Rosenbosketten, Schlossparks und Damen mit Reifrock und Hündchen – gestickt ist auch das Bild mit den Flüchtlingen im Boot oder das schmerzverzerrte Gesicht einer Geretteten in Großaufnahme. „Am seidenen Faden“ (Hanging By A Thread), 2008, Stickerei, Kastenrahmen, 25 mal 25“ lautet die lapidare Bildunterschrift zu dieser bewegenden Serie.

Die Flut respektlos zur Schau gestellter Bilder von Verstümmelten, Verwundeten und Verstorbenen in den Medien der zivilisierten Welt lässt nur zu leicht vergessen, dass die Reihen von Särgen nach Flüchtlings-, Kriegs- und Attentatstragödien die sterblichen Überreste von Menschen mit Sehnsüchten und Hoffnungen bergen. Tanja Boukal gibt ihnen ihre Würde zurück. „Political Correctness“ heißt die erste Einzelausstellung der 1976 in Wien geborenen Tanja Boukal in einem Museum.

411Kann es eine größere Diskrepanz geben: „Handarbeiten“, die Anleitung zum kontrollierten Müßiggang Höherer Töchter der Vergangenheit, und die durch die Medienflut marginalisierten Schicksale von Opfern politischer und sozialer Willkür und Gewalt der Gegenwart? Da hilft es auch nicht zu wissen, dass etwa das Stricken seit Jahren extrem „in“ ist und in den Metropolen der Welt die Strick-Cafes boomen.

Wer strickt sich denn schon das Bild eines in sich gekauerten aller Individualität beraubten Obdachlosen in seinen Schal – und verwendet dazu auch noch teure Wolle aus Kaschmir. Die Wohnzimmer-Kuschelecke im Museum der Moderne wirkt wie ein Hochalter längst verloren gegangener gutbürgerlicher Gemütlichkeit. Nur war das Motiv auf dem Sofa-Kissen in der Regel weiland ein treuer Dackel mit ebensolchem Blick. Auf Tanja Boukals Sofa-Kissen ist das Gesicht eines schlafenden Obdachlosen vom Karlsplatz in Wien zu sehen. „Je schwieriger die Situation, umso kuscheliger das Material.“

412In die stricktechnisch-handarbeitlich souveränen Decken und Kissen von Tanja Boukal will man sich freilich nicht hineinkuscheln. Nicht nur weil es handwerkliche Meisterstücke sind, wie man sie sonst nur im Museum sieht (nämlich in den Volkskundlichen Abteilungen mit Artefakten Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts). Im Gegenteil: Diese Kuscheldecken aus der Serie „Schöner Wohnen“ lassen dem Betrachter, der nichts anderes zu tun hat, als über die anti-allergene Beschaffenheit seines Bettzeugs nachzudenken, ganz einfach das Blut gefrieren.

Fotos von „Sozialen Unruhen“ 2011 in England etwa von der Plattform  Flickr hat Boukal für die Reihe „That’s What They Said“ mit roter Wolle bestickt – und zwar mit Plattitüden aus Politikermund von Vollbeschäftigung bis zu Sozialer Gerechtigkeit.

410Die meisten Fotos, die ihren Werkreihen zugrunde liegen, hat Tanja Boukal allerdings selber gemacht, nach oft intensiven Recherchen und Gesprächen mit den Menschen – etwa in der Umgebung der Villa des „legendären“ Drogenbarons Pablo Escobar: „Pablos Porträt“ heißt die Serie von sechs sepiabraunen Fotos auf Emailplatten, die Details vom Landsitz des Verbrechers zeigen: sei es ein beschädigtes Bad, eine überwucherte Küche, einen Fuhrpark zerstörter Oldtimer, eine vergammelte Arena. Kleine und kleinste Motive in Farbe, raffiniert hineingeschmuggelt in die angeblichen „vintage prints“, zeigen, dass es Fotos von Heute sind. Diese Werkreihe gehört in die Serie zum Thema Wieder-Erinnern: Die siebenteilige Reihe „rewind-Obersalzberg“ aus 2009 zeigt Adolf Hitler unter Touristen in seinem Berchtesgadener Domizil. Propagandafotos und Fotos von Heute ergeben eine beklemmende Bildserie. Hier sind die Bildträger Schieferplatten, die die Künstlerin – nicht selten in Gesellschaft von Souvenierjägern mit ganz anderen Intentionen – direkt am Obersalzberg gesucht hat.

408Leider kommen auch Österreich und seine politische Kultur ganz direkt vor: In der Reihe „All That Glitter and Gold“  hat Taja Boukal Wandteppiche mit goldenem Rahmen gestrickt. Die Sujets sind nicht der Französischen Gartenkunst sondern der Realpolitik der Gegenwart entnommen: Abendland in Christenhand heißt es auf dem Plakatständer, daneben eine Frau im Kopftuch.

Die Fernseher mit gestrickten Bildschirmmotiven muten dagegen fast ein wenig verspielt an. Hier kommt tatsächlich auch ein wenig Ironie ins Spiel. Grandios ist die Werkreihe „Die im Dunklen sieht man nicht“, in der Tanja Boukal Menschen porträtiert hat, die in irgendeiner Form Widerstand gegen totalitäre Regime geleistet haben. Die Bilder sind nur zu erkennen, wenn man sie von der Seite anschaut: Boukal hat die Porträts darunter mit lauter schwarz-weißen Reihen rechter Maschen „zugestrickt“: Die Bilder flirren und entziehen sich der oberflächlichen Betrachtung.

Es ist die bewegendste packendste Ausstellung seit Langem, die im MdM, in Salzburg - und weit darüber hinaus - zu sehen ist.

Tanja Boukal – Political Correctness - Moderne Mönchsberg – bis 2. März 2014 - www.museumdermoderne.at
Bilder; MdM Mönchsberg