Unerzählte Geschichten

KUNSTVEREIN / JAHRESAUSSTELLUNG

07/12/10 „Narration“ ist, wenn man sich selber auf alles einen Reim machen muss. Oder? Gewöhnliche Schildchen mit Werktitel und Künstlernamen griffen zu sehr in die Ausstellung ein, so Kunstvereinsleiterin Hemma Schmutz. Ein Plan liege ja eh vor. Man sollte also Pfadfinder oder Orientierungsläufer mit Kunstdiplom sein.

Von Heidemarie Klabacher

altEine Grundsatzfrage, gewiss. Als Vertreterin der schreibenden Zunft, die sich Text für Text um Vermittlung zumindest bemüht, wundert man sich schon ein wenig, wie sehr man über die Köpfe potentiell Interessierter hinweg-„diskursieren“ kann. „Friss Vogel - oder stirb“, nichts Positiveres fällt einem zu diesem „Konzept“ ein.

Zumal man sich heute Dienstag (7.12.) bei der Presseführung zur Jahresausstellung im Kunstverein nicht einmal  über die korrekte Übersetzung des Ausstellungstitels - „Sweet Anticipation“ - so recht einig werden wollte. „Vorgefühl, Vorahnung, Voraussicht, Erwartung, Hoffung, Vorfreude, Vorwegnahme“ - schlägt das Englischwörterbuch u.a. vor. In Wirklichkeit ist es total egal - weil die ausgestellten Kunstwerke in der von Övül Durmusoglu kuratierten Schau ohnehin nur zum Teil was mit dem Titel zu tun haben/haben wollen.

altErzählen sollen die Arbeiten, so der Infotext: „Die als Dialog zwischen unvollendeten Erzählungen und fragmentarisch erfassten Erwartungen angelegte Ausstellung hinterfragt die kollektiven und individuellen Vorstellungen, die die Fortschreibung unserer Geschichten beeinflussen, wobei die Erzählstruktur aktiv mitgestaltet wird.“

Explizit nichts zu tun mit „Sweet Anticipation“ habe, so der Künstler Markus Proschek, seine zweiteilige Arbeit „Deconstructing Hans“: Das ist der bearbeitete Abguss einer Gipsbüste des Kriminalrechtlers Hans Gross neben einer Art Stele, die vor einer Serie von acht Farbfotographien von Gipsabgüssen "Rassenköpfe" aus dem Archiv des „Haus der Natur“ steht. Da gibt's für promovierte oder noch besser habilitierte Kriminalhistoriker, Psychologiehistoriker und Zeitgeschichtler mit Schwerpunkt Aufarbeitung der NS-Rassenkunde viel zu dechiffrieren und aufzuarbeiten. 

altVon großem Witz zeugt eine Arbeit „Untitled. Bad Internet Connection“, die das Ladezeichen moderner Medien mittels historischem 16 Millimeter Filmprojektor an die die Wand wirft. Hier werden „Vorgefühle, Vorahnungen, Voraussichten, Erwartungen, Hoffungen, Vorfreude, Vorwegnahmen“ tatsächlich ironisch gebrochen. Zu "Geschichten" von Armut und Ausgesetztheit verbinden sich etwa auch die Bilder von Obdachlosen in Salzburg und Berlin in der Videoinstallation „Bolero“ von Sina Moser und Joyce Rohrmoser.

Perücken ohne Kopf. 17 Bilder mit der Bildseite zur Wand aufgehängt. Eine Nebelmaschine (kein Witz). Postkarten „mit Produktionsrealitäten" (von Alm-Erotikfilmen nämlich, Anm.), die fernab des Klischees liegen“… Kunstverein/Jahresausstellung 10/11: Die Einladung zum „Sich-selber-irgendwas-Zusammenreimen“ wird diesmal höflich aber bestimmt abgelehnt.

Bilder: dpk-klaba
Bis 30. Jänner - www.salzburger-kunstverein.at