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KUNSTVEREIN / FÖRDERPREISTRÄGER

16/12/22 Im optimalen Fall stehen Gedenkstätten an Orten, wo die Begebenheiten sich tatsächlich zugetragen haben. Wenn man aber den Blick nur ganz leicht abwendet von den Erinnerungstafeln oder Skulpturen – lässt dann noch irgendetwas darauf schließen, was sich da zugetragen hat?

Von Reinhard Kriechbaum

Das interessiert die 1995 in Korneuburg geborene Rosa Andraschek. Sie ist heuer die Förderpreisträgerin des Salzburger Kunstvereins. Die Jahresausstellung gilt diesmal dem Thema Was fehlt. Die Schau ist diesmal aufgeteilt auf den Saal im Künstlerhaus und auf den Museumspavillon im Mirabellgarten. Dort, im ehemaligen Vogelhaus, stolpert man förmlich über die leuchtenden Fotoarbeiten von Rosa Andraschek. Sie sind auf einem niedrigen Sockel montiert. Worum es geht: Die Künstlerin zielte haarscharf am jeweiligen NS-Gedenk-Objekt vorbei. Man sieht also vor allem herbstlich-laublose Bäume. Die Idylle hält sich zwar in Grenzen, aber wüsste man nichts um die Nähe von Gedenk-Objekten, dann würde man auch nichts Böses dabei denken. Was fehlt, wenn man wegschaut, ist also jeder Gedanke daran, woran man sich dort tunlichst erinnern sollte.

Wer den Förderpreis des Salzburger Kunstvereins erhält, ist im darauffolgenden Jahr eingeladen,im Kabinett des Künstlerhauses auszustellen. Das ist diesmal die Künstlergruppe Alpine Gothik. Die drei Mitglieder kommen aus unterschiedlichen Bundesländern und leben auch nicht am gleichen Ort. Was also verbindet Christina Breitfuß (+1971 in Schwarzach), Erik Hable (*1968 in Linz) und Wolfgang Wirth (*1966 in Innsbruck)? Sie haben gemeinsam in Salzburg studiert. Als Gruppe arbeiten sie seit 2009 zusammen. Es interessiert sievor allem der ländliche Raum und sie schaffen oft partizipative Arbeiten, indem sie dort lebende Menschen miteinbeziehen.

Im Sommer haben sie sich zu einer einwöchigen Klausur in einem Engadiner Bergdorf getroffen, aber dort hat die Partizipation der Einwohner nicht so recht geklappt. Es waren nämlich keine Menschen zu sehen, mit denen die Künstler hätten Kontakt aufnehmen können. Wolfgang With hat zum Reisigbesen gegriffen und die katzenkopfgepflasterten Gassen des schmucken, offenbar zu Tode denkmalgeschützten Dorfes gefegt. Aber das hat auch niemanden dort gekratzt.

Von dieser beschaulichen Straßenkehr-Aktion werden im Kabinett jetzt zwei Video-Filme gezeigt, un an die Wände haben die Leute von Alpine Gothik mit Kohlestift Dekor-Elemente gezeichnet, wie sie typisch sind für den Sgraffito-Verputz der Häuser dort. Passt gut zumm Thema Was fehlt der Jahresausstellung: Es fehlen die Menschen.Müssen sie einemabgehen, wenn eh die Dorfarchitektur so putzig ist? Vielleicht ja doch.

Die Jahresausstellung im Salzburger Kunstverein im Künstlerhaus und imMuseumspavillon ist, sowie die Schau von Alpine Gothic, bis 5. Februar 2023 zu sehen – www.salzburger-kunstverein.at
Bilder: dpk-krie