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Tragik und Komik in der Schwebe

SCHAUSPIELHAUS / IM SITZEN LÄUFT ES SICH BESSER DAVON

07/03/16 Alzheimer lässt grüßen, aber die Beklemmung wird durch Komik und Witz aufgehellt. Es gibt viele Gründe dafür, die Uraufführung des Stücks „Im Sitzen läuft es sich besser davon“ von Alois Hotschnig im Salzburger Schauspielhaus zu loben.

Von Werner Thuswaldner

Zunächst geht es um ein Thema, das die Gesellschaft gerne verdrängt: das Abdriften älterer Menschen, wenn sie an Alzheimer erkranken oder dement werden. Ja, das gab es immer, aber inzwischen setzt sich die Öffentlichkeit stärker und stärker damit auseinander. Die Literatur leistet ihren Beitrag zur nötigen Aufklärung darüber, wie sich das Umfeld verhalten könnte oder sollte. Es gibt viele Beispiele. Niemand soll sagen, dass es schon zu viele sind.

Alois Hotschnig, der Schriftsteller aus Berg im oberen Drautal, hat darüber einen Erzählband geschrieben, der 2009 unter dem Titel „Im Sitzen läuft es sich besser davon“. Das dialogische Element ist in diesen Erzählungen sehr stark, so dass der Entschluss, daraus eine Vorlage für das Theater zu machen, nicht fern lag. Viel näher jedenfalls als sonst oft, wenn Prosawerke dramatisiert werden.

Hotschnigs Texte wirken genauestens recherchiert. Wie macht sich Alzheimer bemerkbar? Wie verändern sich die Sprache, das Verhalten, die Kommunikation? Hotschnig gibt es präzise wieder. Darum ist es nicht verwunderlich, dass ein älteres Ehepaar in der Pause der Uraufführung am Samstag sagte: „Woher weiß der Autor so genau, wie unsere Gespräche daheim verlaufen?“ Das war halb im Spaß gesagt, halb aber auch im Ernst.

Und wie verlaufen sie? Das Ehepaar sitzt in einem sterilen, mit hellem Holz ausgekleideten Raum da (Ausstattung: Mirjam Benkner) und sortiert unentwegt die Erinnerungen. Es gelingt schlecht. Vieles, was aus der Vergangenheit auftaucht, können sie nicht mehr einordnen. Ortsnamen von Italienreisen fallen ihnen ein, aber was sie damit verbinden sollen, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Das gilt auch für den scheinbar so wichtigen Ort Kartitsch (in der Nähe von Lienz) und Mallnitz.

Früher scheinen die beiden einen großen Bekanntenkreis gehabt zu haben. Die Schicksale dieser Leute werden in immer neuen Anläufen durchgenommen, was durch fortwährende Missverständnisse erschwert wird.

Ein Haltepunkt ist der Menüplan der Aktion „Essen auf Rädern“, der an der Wand hängt. Immer wieder stehen sie von ihren Stühlen auf – das Gehen fällt ihnen nicht ganz leicht –, um abzulesen, welche Mahlzeiten zu erwarten sind. Das ergibt jede Menge an Diskussionsstoff. Der Mann versucht, eine Einkaufsliste zu schreiben und erleidet dabei immer wieder die schwersten Rückschläge.

Hotschnig bildet die reduzierte Welt der beiden Alten akribisch ab. Regisseur Max Claessen tat alles, um detailversessen dem Publikum die Einfühlung in die Charaktere zu befördern. Daher sind die Rollen so plastisch wie nur möglich durchgebildet. Die Darstellung trieft nicht vor lauter Tragik, denn es gibt viele Momente großartiger Komik. Das ist ein weiterer Grund, warum die Aufführung gelobt gehört.

Harald Fröhlich kann zeigen, was für ein gereifter Schauspieler er mittlerweile ist. Vergleiche mit dem großen Bernhard Minetti fallen einem ein. Daniela Enzi ist seine ideale Partnerin, stets darauf – und oft vergeblich – bestrebt, die Reste an Vernunft zusammenzuhalten.

In den folgenden Szenen – die Welt der Alzheimer-Kranken ist weiter geschrumpft – kommen weitere Darsteller hinzu: Marcus Marotte als verzweifelter, überforderter Sohn der beiden Alten und in der etwas lang geratenen Schlussszene nach der Pause, die im Wartezimmer einer unnahbaren Ärztin (Christiane Warnecke) spielt, Olaf Salzer als Patient, der an aggressivem Redefluss leidet, sowie Ulrike Arp, die als Fall in weit fortgeschrittenem Stadium starken Eindruck hinterlässt.

Schließlich verdient Julia Gschnitzer, die ihr Alter von bald 85 Jahren Lügen straft, Lob noch und noch. Über die liebenswürdige, zarte Verrücktheit und die abstruse Fantasie dieser Patientin, über ihre besondere Art, über die Bühne zu huschen und über ihre Sportlichkeit kann viel gelacht werden. Nicht zuletzt ihr ist es zu danken, dass die – naturgemäß – über der Aufführung lastende Beklemmung durch Komik und Witz aufgehellt wird.

Aufführungen bis 19. April – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Gregor Hofstätter

 

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