Der g'schupfte Ferdl in unserer rasanten Welt

OFF THEATER / JENNY JANNOWITZ

16/05/23 Ist doch eigentlich trostreich, wenn man den ganzen Winter durchgepennt hat, völlig desorientiert aufwacht, panisch ins Büro hetzt – und dann zeigt sich, dass man eh niemandem abgegangen ist, am allerwenigsten dem Chef. Der Freundin leider auch nicht, das gibt dann schon zu denken.

Von Reinhard Kriechbaum

Jetzt also rotiert Karlo Kollmar (so heißt die Schlafmütze, die jetzt nolens volens einen auf hyperaktiv macht) um sich selbst. Er versucht herauszukriegen, was da los ist. Der Chef scheint sich über den Winter in einen jovialen Kumpel verwandelt zu haben und schickt Karlo gleich wieder nach Hause. In der Firma ist angeblich eh alles so gut gelaufen ist, dass Karlo sich ruhig frei nehmen kann. Heute, und morgen auch.

Für Jenny Jannowitz hat der deutsche Autor und Regisseur Michel Decar im Jahr der Uraufführung 2014 den Kleist-Förderpreis bekommen. Nun hat Alex Linse das Stück im Salzburger Off Theater inszeniert. Hyperbetriebsam, wie es eben passt für diese Tragikomödie, die immer irgendwo am Rand des Irrwitzes balanciert. Der erweckte Schläfer (Jakob Kücher) hat es ja nicht nur mit einem Chef zu tun, sondern gleich mit dreien. Auch die Freundin begegnet ihm als multiple Erscheinung, und der Jugendfreund Oliver ebenfalls.

Anja Clementi, Diana Paul und Tom Pfertner spielen dieses Trio infernal, das den armen Tropf anrennen lässt wie den sprichwörtlichen g'schupften Ferdl. Während er eine Frage stellt, wechseln die Gegenspieler flugs ihre Identitäten. Die Tempo-Spirale ist enorm, das Timing ist präzise. Binnen Sekunden kann da eine oder einer unter dem Podium durchhechten und in einer anderen Rolle wieder auftauchen. Die schwarze Melone fliegt von einem Kopf zum anderen, auch die Haarmasche der Freundin wechselt rasant. Heißt die Dame jetzt eigentlich Sybille oder Sabine oder sonstwie? Es ist alles aus den Fugen.

Freund Oliver scheint ein ganz übler Bursche zu sein. Er macht sich an Karlo Kollmars Freundin ebenso heran wie an dessen Mutter, und im Büro plustert er sich auch auf. Ein „Institut für Ideen jeder Art“ hat er gegründet, und einmal verkündet er stolz: „Ich überwache die Projektkontrolle.“ Von dem Super-Schaumschläger erfahren wir unter anderem, dass er zwar nicht programmieren kann – aber denken. Solche Leute sind im Business fürwahr ernsthaft zu fürchten.

Wie viele Worthülsen aus dem Firmenberater-Sprech hat der Autor wohl eingebaut in dieses Stück, um die Schnellebigkeit und Oberflächlichkeit unserer Zeit ad absurdum zu führen? So grotesk und absurd komisch das alles auch daherkommt: Wir erleben ja, wie da einer sprichwörtlich zermahlen wird im Getriebe.

Aber halt? Warum heißt das Stück eigentlich Jenny Jannowitz? Die taucht gelegentlich auf, ein schwarzer Todesengel mit wenig Vertrauen einflößendem Make up. Und sie hat Zeit! Jenny Szabo spielt diese rätselhafte Figur. Sie steht in der Straßenbahn neben dem sich selbst immer mehr verlierenden Karlo Kollmar, oder sie sitzt plötzlich neben ihm im Flugzeug. Von einem „Panoptikum sinnentleerter Mobilität“ war 2014 in einer Kritik nach der Uraufführung von Jenny Jannowitz die Rede. Der Chef hat den Armen ja so oft weiter „gegen Osten“ (und doch zu keinem konkreten Ziel) geschickt, bis der Bedauernswerte von der anderen Seite der Welt wieder in Deutschland gelandet ist. Ja, die Welt ist kugelrund. Schwer zu sagen, ob das eine gute Nachricht ist.

Nächste Aufführungen am 17., 20. und 24. Mai – www.off.theater
Bilder: Off Theater / Taro Ebihara