Ich bin der Orgi … und ich mache Theater

UNI MOZARTEUM / TARTUFFE

24/04/23 Früher einmal herrschte vernünftige Aufgabentrennung im Theater: Autoren haben Stücke geschrieben, Regisseure diese in Szene gesetzt und die Schauspieler haben das gemacht, was sie am besten konnten: Schauspielen. Das waren noch Zeiten!

Von Reinhard Kriechbaum

Heute hat sich die Praxis entschieden gewandelt, und damit auch das Anforderungsprofil in der Schauspiel-Ausbildung, die darauf reagieren muss, dass das Theater landauf, landab integrativer wird. Was Autoren schreiben, wird erbarmungslos durch die Mangel gedreht und unter dem Vorwand vermeintlicher Aktualisierung zusammengestrichen oder überschrieben. Regisseure suchen sich genau das aus dem jeweiligen Textkonvolut aus, was sie ihrem Publikum erzählen möchten. Neben ihnen plustern sich in gleicher Absicht die Dramaturgen auf. Und die Schauspieler sind sehr oft aufgefordert, sich und ihre eigene Sicht auf die Dinge einzubringen. Läuft unter dem Stichwort Demokratisierung.

Da kommen oft erfrischende, neuartige Sichtweisen zustande. Aber noch öfter führt das zu Verflachung, Eindimensionalität. Ein bisserl ist es auf dem Theater im Moment so wie in der Politik. Die Leute mit den einfachen Botschaften dringen besser durch. Auf den Bühnen haben die Populisten längst die Deutungshoheit übernommen, die Partei der Nachdenklichen, an Differenzierung Interessierten bildet eine Minderheit – wohl auch im Publikum, aber da gibt es möglicherweise Wechselwirkungen zwischen Bühne und Zuschauerraum.

Was junge Schauspieler heutzutage lernen, muss jedenfalls darauf hinzielen, dass sie sich im derzeitigen Bühnenleben zurechtfinden. Der Abschlussjahrgang am Thomas-Bernhard-Institut der Universität Mozarteum, der sich derzeit mit Tartuffe im Theater im KunstQuartier vorstellt, wirkt bestens vorbereitet auf diese zum Vordergründigen, zum Schrillen neigende Richtung der Bühnenkunst.

Der Titel Tartuffe lässt schlichtere Gemüter an Molière denken. In diesem Fall hat sich ein gewisser Peter Licht, ein Kölner Indie-Pop-Musiker und Schriftsteller, darüber hergemacht. Er habe das Stück, so steht's im Programmheft, „zerstäubt und zerrieben, um es in seiner satirischen Qualität für unsere Gegenwart lesbar zu machen“. Mehr Überheblichkeit einem literarischen Text gegenüber ist schwer vorstellbar. Und dem Publikum wird pauschal unterstellt, dass es nicht mehr fähig ist, Molières Tartuffe, diese bitterböse Satire auf Einschleimerei und Bigotterie, zu verstehen. Danke fürs Kompliment, sagen wir für dumm Verkaufte!

Übrig geblieben sind Figuren, die so heißen wie bei Molière. Wenn auch aus Orgon ein „Orgi“ wird. Tartuffes Künste zielen hier ab auf den Hang zur Selbstoptimierung. „Unter dem Dogma von Freiheit, Selbsterfahrung und Nacktanzug wird geworkshopped, gelevelt und experienced“, wird die Sache im Programmheft hinlänglich anschaulich beschrieben.

Auf der Habenseite: Die Schauspielabsolventen können 75 Minuten lang in einem rasanten Gebrabbel zeigen, dass sie sprechtechnisch allerhand drauf haben. Das exakte Timing, nach dem die Regie von Nele Rosetz und die Choreographie von Mirjam Klebel verlangen, gelingt ebenfalls. Ob das überdrehte Grimassenschneiden etwas mit Schauspielkunst zu tun hat? Man müsste all diese jungen Leute, die demnächst in ein ungewisses Berufsleben entlassen werden, in ernsthaften Rollen sehen. Hier jedenfalls ist – ein letztes Mal muss das Programmheft herhalten – „direkte Aktion, statt okaybetriebener Mittelbereich“. In letzterem müsste sich Schauspielerei im Ernstfall erst so recht bewähren. Das maßlose Übertreiben, wie es hier fünf Viertelstunden lang betrieben wird, ist nicht wirklich eine Kunst.

All den jungen Schauspielerinnen und Schauspielern wünschen wir viel Glück in ihrer Bühnenzukunft – und sie mögen möglichst verschont bleiben vor Theater-Scharlatanen, wie sie sich in dieser Produktion auf ihrem Rücken, auf jenem von Molière und vor allem auf dem Rücken des Publikums gar hemmungslos ausgelebt haben.

Weitere Vorstellungen am 27., 28. und 29. April, am 11. und 12. Mai sowie am 14., 15. und 16. Juni – www.moz.ac.at
Bilder: Mozarteum / Magdalena Hofer