Es menschelt unbarmherzig

LANDESTHEATER / FAMILIENABEND

02/10/21 Am Ende greift Georg Clementi zur Gitarre und lässt eines seiner Zeitlieder hören: „Da gibt es einen Platz / da scheint die Sonne drauf...“ Ach hätte man doch diesem feinen, charmant querdenkerischen und in der Menschenbeobachtung geübten Chansonnier den ganzen Abend zum Thema Familie allein anvertraut!

Von Reinhard Kriechbaum

Es wäre einem viel banales Zeug, viel Gedanken-Leerlauf erspart geblieben. Das wird einem in den letzten zwei Minuten mit Clementi so recht bewusst. Es ist der ultimative Keulenschlag für einen an Belanglosigkeit schwer zu überbietenden Theaterabend.

Es musste ein Theaterkollektiv her für den Familienabend. Sechs Schauspielerinnen plus einem Gast (am Premierenabend Michael Niaravani). Sie alle haben Familie oder stammen zumindest von einer solchen ab. Wer hätte das gedacht? Sie alle haben, auch wenig verblüffend, Erinnerungen an ihre Familien und das Leben darin. Diese werden schön systematisch abgearbeitet. Gedankenfetzen über das eigene Aufwachsen, Streiflichter auf die Mutter, den Vater, die Großeltern. Eine aus der Gruppe, Janna Ramos-Violante, kommt aus Südfafrika. Sie hat als blutjunge Erwachsene ausgerechnet im Tiroler Hopfgarten ihre große Liebe (mit Ablaufdatum) kennen gelernt. Georg Clementi stammt aus einer Großfamilie, war Nesthäkchen mit fünf Geschwistern. Im rauen Tirol war aber auch der Jüngste nicht vor mütterlichen Watschen gefeit.Solche kassierten alle ab, „weil einer wird’s schon gewesen sein“. Was die Trefferquote der väterlichen Fußtritte anlangt, könnte die Erinnerung trüben, räumt Clementi ein.

Aber das war's auch schon mit den dunkleren Wolken am Familienhimmel. Im Prinzip erfahren wir nur das Allerbeste aus weitgehend ungetrübten Welten. Das liegt auch daran, dass jeder Mensch – und da machen Schauspielerinnen und Schauspieler keine Ausnahme – die echten Familienpeinlichkeiten tunlichst nicht an die große Glocke hängt. Die Leichen bleiben im Keller, das ist das Grundproblem des Abends. Die Ensemble-Arbeit hätte nur Sinn, wenn man einander listig aus der Reserve locken würde, wenn man sich gegenseitig (improvisierend) Fußangeln legte und so auch gerne Verschwiegenes zutage beförderte. Keine Rede davon. Hier wirkt alles bestens geprobt und lieb arrangiert. Gutes Bühnenspiel, sind ja lauter Profis am Werk, Regisseur eingeschlossen (Carl Philip von Maldeghem). Ist wieder ein Thema abgehakt, wird ein Liedlein gesungen (gut, dass Georg Clementi unplugged Gitarre spielen kann). Es ist ein locker-flauschig-belangloser Theaterabend herausgekommen, mit viel small talk rund um Sofa, Esstisch, Herd (wo immer wieder mal einer in der dort köchelnden Gemüsesuppe rührt). Eckpunkte ganz unten und ganz oben: Hauspatschen und Nostalgie-Lampenschirme. Dazwischen menschelt es unbarmherzig.

Und dann läutet es. Michael Niaravani ist endlich da, nach siebzig Minuten. Der hat seine österreichisch-persische Misch-Familiengeschichte im autobiographischen Buch Vater Morgana schon vor zwölf Jahren öffentlich gemacht. Da war also auch nichts Erhellendes zu erwarten und es kam auch nichts.

Lang ist die Liste der fortan zu erwartenden Gäste, denn zu jeder der weiteren sechzehn (!) geplanten Aufführungen ist ein anderer eingeladen. Vom Ex-Skispringer Toni Innauer über Alfons Haider bis DJ Ötzi. Wer nicht aller Familie hat! Einmal sind's gar zwei Gäste. Offenbar misstraut man der Fähigkeit von LHStv. Heinrich Schellhorn zum Alleinunterhalter und holt den Bauchredner und Comedian Tricky Nicky dazu. Über die tiefenpsychologische Bedeutung dieser Paarung zerbrechen wir uns noch den Kopf.

Familienabend. Bis 3. März 2022 im Salzburger Landestheater – Die aktuelle Gästeliste findet man online – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Tobias Witzgall