Menschen im mythischen Weltgewebe

TOIHAUS / ANTIGONE-ANTIGONOS-ANTIGONÄ

17/01/20 Gemeinsamschwesterliches, das Wort ist von Friedrich Hölderlin, gibt es derzeit im Toi-Haus: Antigone/os/ä ist eine Mythos-Trilogie. Eine Annäherung an die Figur der Antike und an den Autor der Romantik - den vor 250 Jahren geborenen Sophokles-Übersetzer.

Von Erhard Petzel

Das Publikum säumt Julia Boschs Bühnenraum, dessen schwarzer Boden von einer kreisrunden weißen Plane mit Loch im Zentrum bedeckt ist. Katharina Kummer schlüpft im Negligé-Kostüm darunter. Wenn sie bis ins Zentrum durchgekrochen ist, erhebt sich das zentrale Haupt, umgeben vom Fuji-Kegel der Pelerine, die zum Blumenkleid eingedreht wird. Das Spiel mit der Plane konturiert die Szenen. Sie wird hochgezogen und wieder fallen gelassen, bildet Rückzugsräume und architektonische Wirkungsstätten ebenso, wie intime Körper- und Seelenhüllen oder schlichte Kostüme mit assoziativem Gestus.

Das erste Gesprochene kommt aus dem Mund des Boten von Sophokles‘ Drama: „Furchtbar ist Gewissen ohne Wahrheit“.

Katharina Kummers Textgemenge aus Zitaten und eigenen Szenarien baut die Umgebung eines Irrenhauses auf, in dem die Figuren aus Sophokles‘ Antigone mit der Biografie des Übersetzers Hölderlin geklittert werden. Zu den eigenen Regieanweisungen, dem Rezitieren und Ausspielen von Texten und Szenen, die auf die fünf Akte des Dramas rekurrieren, kommen Text- und Musikeinspielungen. Amazing Grace wird leitmotivisch gesummt, Michael Jackson als Bezugsgröße beschworen, wenn über die Urinkontrolle in der Anstalt oder den Milchreis zu Weihnachten räsoniert wird.

Zu dem kommen Puppen von Atif Hussein zum Einsatz. Antigone verpuppt zum Opferlamm, während Kreons Auseinandersetzung mit Theresias mit zwei an Totenmasken gemahnenden Köpfen visualisiert wird.

Das Element des figurativen Spiels greift im Anschluss auch Thomas Höfner in Antigonos unter der Regie von Arturas Valudskis auf. Ein weißer, gekippter Tisch gibt die Spielkante für Fingerbrüder, die zunächst friedliche Eintracht feiern. Zwietracht der folgerichtige nächste Schritt. Verwandtschaft wird kurz permutiert als verbaler Beitrag. Das blöde Haupt als menschelnder Führer in die archaische Niedertracht des Brüderlichen. Schwarzer Anzug, Hut und weißes Hemd fliegen auf die offene Bühne als Business-Kostüme einer tristen Clownerie und werden vom belebten Kostümträger samt Schuhwerk zum ausgestreckt Liegenden drapiert.

Der Verkörperte nimmt Platz auf schwarzem Stuhl am weißen Tisch. Nun erfolgt eine lange Sequenz langsamen Hinrückens zur Hülle des imaginierten Anderen. Nahe genug, kommt es Stück für Stück zur Vereinnahmung dessen Anzugs in den eigenen Machtbereich. Die Mittel dazu sind ausgebufft bis zum Hand-Schuh-Stepptanz. Natürlich bleibt ein solches Unterfangen nicht ungesühnt und Strafe folgt auf dem Fuß. Gefangen hinter Sessellehnengittern wird im Verlust eines Schuhs eine Lösung angeboten. Wenn der auf der Sessellehne hängt, hinkt der sardonisch grinsende Vergleichsträger.

Ganz ohne sinnliches Beiwerk präsentiert sich abschließend Felicitas Biller mit Antigonä in der Regie von Katharina Schrott. Sie zeigt Antigone eingemauert. Übersetzer Hölderlin bietet einen verbalen Leitfaden mit rezitierter Regel zum kalkulablen Gesetz im Verhältnis Antigone – Ödipus, das mit sich zu diversen Stellungen entwickelndem Armwinkel visualisiert wird und damit auch für die Diskussion der Näherung des Übersetzers zum Originaltext als Sinnbild dienen mag.

Die Logik hinter der idealen Figur soll sich herausschälen. Der Bühnenraum wird durchzittert, zwischendurch Text auch auf Altgriechisch; ihre Rechtfertigung für die Schatten der Ewigkeit bildet den Rahmen zur Eingangsperformance Kummers.

Die Gesamtstrategie des Abends entwickelt sich stimmungsmäßig parallel zum Zustand der absoluten und damit schließlich tödlichen Vereinsamung, von verwirrter Sinnlichkeit über die Groteske in die Tristesse. Damit hat man zu schauen, zu sehen und zu hören und darf sich seinen Teil denken. Die Katharsis als Ziel des Dramas kann nur der Betroffene für sich verantworten. Bühne genügt sich selbst. Das ist ihr Wesen. Individualisierte Wesen zelebrieren darauf ihr mythisches Weltgewebe.

Weitere Vorstellungen im Toihaus am 17. und 31. Jänner sowie am 1. Februar – www.toihaus.at
Bilder: Toihaus / Ela Grieshaber