Vaterlos unglücklich

KAMMERSPIELE / HALBE HELDEN

18/01/19 „Warum schlägt er?“ Dane weiß es selbst nicht genau. Der Vater ist jedenfalls unschuldig; denn er ist nicht mehr da. Und doch umso anwesender. Dane weiß es eben nicht genau. Das Jugendstück Halbe Helden lässt seine Figuren Fragen stellen, deren Antworten vor ihnen geflohen sind.

Von Franz Jäger-Waldau

Halbe Helden erzählt von einer Generation, die sich sich selbst nicht mehr erklären kann und stattdessen Begründungen im tauben Teil ihres Daseins sucht: im Vorbedingten, im nie Erlebten und immer Versäumten, im Land der flüchtigen Väter. Der Theaterfassung von Erin Jade Langes im Jahr 2013 verfassten Roman Dead Ends verfertigt den amerikanischen Text zu einer szenischen Fassung und stellt diese als Jugendstück auf die Bühne.

Dane (Hanno Waldner) schlägt gerne andere. Als Strafe wird der Halbstarke nun gezwungen, den schwächeren, körperlich behinderten Billy durch das alptraumhafte Sozialterrarium Schule zu geleiten. In seiner Figur vereint Dane selbstverständlich den charakterlichen Jackpot: Er ist tugendhafter Rebell, intelligenter Idiot, harter Softie. Er ist ein Unfall; denn sein Vater wollte ihn nicht - und daher will auch Dane seinen Vater nicht zurück. Der schwächere Billy dagegen sucht seinen Vater. Ingo Paulick durchspielt die Figur liebevoll und schleicht sich in ihr gekonnt zwischen Witz und Würde hin und her. Unter dem sternenbesetzen Himmelsbanner werden verschlafene amerikanische Träume wie Unabhängigkeit, sozialer Aufstieg und Roadtrips wiedererweckt. Halbe Helden setzt auf die Romantik eines Roadmovies - ohne Straßen und ohne Rundfahrten. Auch in der Sprache der Theaterfassung bleibt die hollywood-esque Attitüde des Sozialdramas erhalten: „Mums“ erinnern sich an „Dads“ und „Kerle“ wandern nach Kentucky aus. Handlungselemente sind auf ein amerikanisches Kulturverständnis angewiesen, das modernen jugendlichen allerdings gut zumutbar ist.

Nur ererbt auch die szenische Fassung nicht nur die Stärken, sondern auch die Schwächen ihres literarischen Vaters: Sie erzählt von Problemen mit der Realität und hat dabei Probleme mit dem eigenen Realismus. Etwa ist Dane als realistische Figur gänzlich inkohärent: So spannend das Tauziehen auch sein mag, seine moralische Aufrichtigkeit steht im vom Stück niemals begründeten Widerstreit zu seiner Gewalttätigkeit, sein Herz aus Gold schlägt nicht im Takt mit seinen Eisenfäusten. Danes gesamtes charakterliches Erlösungspotenzial besteht darin, dass er aus Selbstprinzip behinderte Menschen nicht schlägt – oder zumindest solche (ziemlich oft) nur fast schlägt. Auch geht das Stück stellenweise stolpernd mit modernen Medien um: Google, Mobiltelefone, Computer müssen immer noch ungelenk wie kybernetische Prothesen eingeschraubt werden. Auch die obligatorische Moralbildung wirkt oft erzwungen und oberflächlich; Danes Freundin ist ein Laborkind zweier homosexueller „Dads“, so Dane: „Weil sie ein riesen Glück hat.“ – ein recht undankbares Urteil gegenüber den vom Stück ohnmächtig geschilderten, sich abarbeitenden alleinerziehenden Müttern. „Nazis“ werden unbekannte Antagonisten genannt, Aggressoren die Dane eigentlich, aber wohl ohne die heroische Motivation und Frisur. Das Jugendstück spielt damit die zeitgenössische Unachtsamkeit vor, eine Bezeichnung mit – zum Glück – eng begrenztem Adressatenkreis, inflationär zu gebrauchen. Aber der Humor verlässt sich ohnehin mehrmals zu selbstgerecht auf das augenzwinkernde Belächeln von Billys Behinderung, um anderorts ernsthafte Morallehren anbringen zu können. Wollte das Stück neben Unterhaltung Bildung spenden, müsste es, wie schon Adorno erkennt, „auf einen Realismus verzichten, der, indem er die Fassade reproduziert, nur dieser bei ihrem Täuschungsgeschäfte hilft.“ Allerdings schließt die vom Fehlen der Väter verdeckte Selbstsuche in einer überraschend erhabenen Konklusion: „Nein, Billy ist nicht wie alle anderen, aber das ist nicht schlimm. Wichtig ist, dass du den Unterschied erkennst und ihn akzeptierst, wie er ist.“

Ausdrücklich muss abschließend auch das schlichte, aber exzellente Bühnenbild erwähnt werden. Hinter dem Geschehen wächst ein Wald, der das Bekannte noch im Abgang verhallen und das Unbekannte schon im Auftritt anklingen lässt. Die feinfühlige Belichtung ist hier subtil, aber mit ihrem konsequenten Stil für das Stück charaktergebend.

Vorstellungen bis 12.4. 2019. Weitere Informationen unter: www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Anna-Maria Löffelberger