Darth Vader trifft Werther

KAMMERSPIELE / DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHER

03/10/17 „Sie ist mir heilig. Alle Begier schweigt in ihrer Gegenwart…“ So heißt es im Original. In den Kammerspielen geht man mit den legendären „Leiden des jungen Werther“ textlich sehr behutsam um. Dafür treibt die Fantasie der historischen Figuren zeitgeistige Blüten. Eine anregende Wanderung durch einen Text, der heute so aktuell ist, wie von 243 Jahren.

Von Heidemarie Klabacher

Die Welt war heil, die Zufriedenheit groß. Der Verlobte „ein Mann, dem man gut sein muss“. Das künftige Eheglück eine ausgemachte Sache. Doch dann: Auftritt Werther. Sprühend vor Geist und Gefühl reißt er die brave Lotte – Ersatzmutter für acht kleine Geschwister – hinein in einen Strudel nie geahnter Emotion.

Nur wenige Plots der Weltliteratur sind so bekannt und berühmt, wie die Story des Briefromans „Die Leiden des jungen Werther“, der weiland die Jugend bis zum Selbstmord aufgewühlt hat, von den Philistern abgelehnt und als „Lockspeise des Satans“ noch weiter „beworben“ wurde. All das tut das Büchlein heute nicht mehr. Von seiner Aktualität hat es dennoch nichts eingebüßt.

Die Produktion in den Kammerspielen respektvoll um mit dem Original. Sogar das berühmte Werther-Outfit (gelbe Hosen, blaue Weste) wird angedeutet und zugleich verfremdet. Nur wenig Gesprochenes steht nicht im Buche, bis zu den Datumsangaben – „17. Junius“ – nimmt man Goethe ernst.

Dennoch sind es keine Museumsfiguren, die auf der Bühne Emotion deklamieren. Es sind junge Leute von heute, die mit Gefühlen und Problemen kämpfen, die zu allen Zeiten die gleichen sind. Darum nennt man manche Bücher auch „Klassiker“.

  Die Offenheit und Zeitlosigkeit des Werther zeigt sich in der Regie von Johannes Ender, der selber auch den Text eingerichtet hat, besonders auf den emotionalen Höhepunkten, an denen Werther und Lotte erstaunlich „moderne“ Dinge tun. Etwa Graffiti an die Wand malen, die sich wie ein Leitmotiv wild wuchernd durch das Bühnenbild von Hannah Landes ranken. Goethe hat sich in der Naturwissenschaft  ausgekannt. Ein durchs Bild schwimmender Fisch ist plausibel. Werther und Albert auf dem Höhepunkt des feinsinnig-erbitterten Kampfes um Lotte spielen samt Lichtschwertern eine Sequenz aus Star Wars nach, ohne dass es befremdlich wäre: Diese schrägen Momente, sogar der Tanz der Dinosaurier, entwickeln sich organisch aus den klassischen Szenen heraus.

Da knüllt Werther einen Fetzen herumliegender Plastikfolie (diente zuvor als Stola zu Lottes Ballkleid) zu einem Knäuel zusammen und hängt dieses als kleine Wolke an den Himmel, aus der es punkgenau und sanft auf ihn und Lotte herunter regnet: Welch‘ ein zauberhafter Einfall für die Schlüsselszene erster Annäherung der Liebenden im Gewitter. Radikal modern wird das Ganze erst mit der offen ablehnenden Haltung Lottens Alfred gegenüber.

Janina Raspe als Lotte, Hanno Waldner als Werther und Tim Oberließen als Albert überzeugen darstellerisch als junge Leute von Heute. Sie sprechen den alten Text mit größter Selbstverständlichkeit und hervorragender Technik und Artikulation. Goethe-Deutsch als Jugendsprache? Funktioniert! Alle Deutschlehrer und Literaturfreunde müssen dem Landestheater dankbar sein für diese Produktion. Ein Genuss. Eine Freude.

„Die Leiden des jungen Werther“ - Aufführungen in den Kammerspielen bis 1. März 20018 - www.salzburger-landestheater.at
Bilder: LT/Anna-Maria Löffelberger